Merkel-Interview: „Wir wollen Afghanistan nicht seinem Schicksal überlassen“

Zehn Jahre nach der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg versammelt sich die internationale Staatengemeinschaft wieder in Bonn. Wir sprachen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Zukunft Afghanistans, die Euro-Krise und ihren aufreibenden Job.

Düsseldorf. Was muss diese Bonn-Konferenz liefern, damit mit ihr in weiteren zehn Jahren der Weg Afghanistans in eine sichere Zukunft und ohne fremde Truppen auf eigenem Boden verbunden sein könnte?

Merkel: Diese Konferenz zeigt, dass Deutschland mit Blick auf Afghanistan um einen Gesamtansatz bemüht ist. Militärisches Vorgehen alleine kann eine dauerhafte Lösung nicht bringen. Das sehen wir heute noch klarer als vor zehn Jahren. Militärischer Einsatz, Entwicklungszusammenarbeit, Aufbauhilfe und Politik — diese Bereiche müssen organisiert und planvoll vernetzt werden. Diese Haltung hat sich übrigens auch international längst durchgesetzt. Es geht in Bonn darum, Afghanistan für die Phase des Übergangs stark zu machen. Ende 2014 will die NATO alle Kampftruppen abgezogen haben und die Afghanen sollen die Verantwortung für die Sicherheit im ganzen Lande übernehmen — in einigen Regionen hat das ja schon begonnen.

Was ist jetzt gefragt?

Merkel: Afghanistan braucht im Inneren einen Prozess der politischen Versöhnung, und es muss nach außen in eine gute Partnerschaft mit seinen Nachbarländen eingebettet sein. Wir wollen die Fehler Anderer aus der Vergangenheit nicht wiederholen und Afghanistan nach der Übergabe der Verantwortung seinem Schicksal überlassen. Daher ist es wichtig, dass unsere zivile Hilfe nach 2014 ebenso fortgesetzt wird, wie unsere Unterstützung bei der Ausbildung von Soldaten und Polizisten. Wir wollen, dass Afghanistan ein stabiles Land wird, auch wenn es vielleicht nicht unseren westlichen Vorstellungen von Demokratie entspricht.

Was macht Sie optimistisch, dass in den drei Jahren bis 2014 nun gelingt, was in den zehn Jahren zuvor nicht gelungen ist, unter anderem die Versöhnung mit den moderaten Taliban?

Merkel: Wir machen militärisch jetzt vieles anders als in den ersten Jahren: Das NATO-Konzept des „Partnering“ sieht vor, dass ISAF-Soldaten und ihre afghanischen Kameraden gemeinsam vorgehen, dass sie einander auch ins Gefecht begleiten. Das hilft den afghanischen Streitkräften, an Professionalität zu gewinnen und zunehmend alleine zurechtzukommen. Aber noch einmal: rein militärische Erfolge werden uns das Ziel, das ich gerade geschildert habe, nicht erreichen lassen. Deswegen setzen wir ja auf den weiteren Wiederaufbau der Wirtschaft, aber auch der gesellschaftlichen Strukturen und natürlich auf den politischen Kurs Präsident Karsais zur innerafghanischen Versöhnung. Nicht jeder, der einmal für die Taliban gekämpft hat, steht für immer einer friedlichen Entwicklung im Wege; viele dieser Menschen können und sollen zu einer stabilen Zukunft Afghanistans beitragen.

Und da machen die Taliban mit?

Merkel: Natürlich müssen bestimmte Regeln gelten. Die Taliban müssen jede Verbindung zu Al Kaida kappen und der Gewalt abschwören. Dieser Versöhnungsprozess bleibt nicht ohne Rückschläge, aber meine Hoffnung ist, dass die übergroße Mehrheit der afghanischen Bevölkerung nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg der Gewalt müde ist. Die Menschen wollen in Ruhe und Frieden leben, in Freiheit und mit der Chance auf etwas Wohlstand. Diese Einsicht wird die Vernunft auch bei dem einen oder anderen Taliban befördern.

Frieden in Afghanistan wird es ohne die Nachbarstaaten, insbesondere ohne Pakistan, kaum geben. Was muss Pakistan leisten und was ist die Bonn-Konferenz nun ohne Pakistan noch wert ?

Merkel: Wir wollen, auch mit dieser Bonner Konferenz, allen Staaten der Region begreiflich machen, dass ein friedliches und stabiles Afghanistan für sie das Beste ist. Deswegen bedauere ich sehr, dass sich Pakistan nach dem Zwischenfall an seiner Grenze entschlossen hat, der Konferenz fernzubleiben. Wir werden weiter dafür sorgen, dass Pakistan in alle Bemühungen um eine gute Zukunft für Afghanistan eingebunden ist.

Sie haben vor einem Jahr erstmals offen von Krieg gesprochen. Hat sich der Westen in Afghanistan verschätzt?

Merkel: Der Westen musste nach den Terroranschlägen des 11.9.2001 handeln. Ein quasi nicht existierender Staat Afghanistan war Ausbildungsstätte für internationale Terroristen, Al Kaida konnte dort ungehindert trainieren und von dort aus weltweit agieren. Hätten wir nicht gehandelt, hätten wir unsere eigene Sicherheit aufs Spiel gesetzt. Dass der Afghanistan-Einsatz nicht einfach werden würde, damit mussten wir rechnen. Ausländische Truppen hatten sich dort in der Geschichte schon früher schwer getan. Uns war auch klar, dass insbesondere die Grenzgebiete zu Pakistan schwierig zu kontrollieren sein würden. Es wurde immer deutlicher: Ein militärischer Einsatz muss mit zivilem Wiederaufbau, Entwicklungsarbeit und einem politischen Prozess kombiniert sein, um Erfolg zu haben.

Die Befürchtung, die Taliban könnten nur auf den Abzug warten, um sich zurück an die Macht zu bomben, teilen Sie nicht?

Merkel: Wir werden sicher nicht alle überzeugen können, aber es gibt innerhalb der Taliban verschiedene Strömungen, auch gemäßigte, die zur Zusammenarbeit bereit sind. Die Frage ist doch: Tue ich nichts für den Versöhnungsprozess oder gehe ich das Wagnis ein, ihn zu versuchen? Ich bin für den Versuch.

Sie eröffnen diese Konferenz, deren Regie vorsieht, dass der afghanische Präsident Hamid Karsai auf deutschem Boden den Vorsitz führt. Was haben Sie ihm in Sachen guter Regierungsführung, also beim Kampf gegen Korruption, beim Aufbau von Gerichten oder Steuerbehörden und im Kampf gegen den Drogenhandel, zu sagen?

Merkel: Die Regierung Karsai hat erhebliche Anstrengungen unternommen, die Probleme in den Griff zu bekommen. Das geht nur Schritt für Schritt. Eine Zentralregierung in Kabul kann in einer Gesellschaft mit ausgeprägter Stammeskultur nur Schritt für Schritt vorankommen. Mich wundert es nicht, dass zehn Jahre dafür nicht reichen.

Sie haben zuletzt im Bundestag wieder betont, dass Deutschland auch nach 2014 Afghanistan zur Seite stehen werde. Werden deutsche Soldaten zur Ausbildung von afghanischer Armee und Polizei im Lande bleiben?

Merkel: Es können auch nach 2014 noch deutsche Soldaten und Polizisten zur Ausbildung von afghanischem Militär und als Mentoren der lokalen Polizei am Hindukusch bleiben. Wir kennen dieses Prinzip aus anderen Missionen, dass sich die Bundeswehr aus Kampfeinsätzen zurückzieht, aber beispielsweise zur Beobachtung oder für Ausbildungszwecke im Lande bleibt.

Stichwort Euro-Krise. Haben Sie den Eindruck, dass ihr Abwehrkampf gegen Euro-Bonds, also die Umlage von Staatsschulden auf alle Mitglieder der Euro-Zone, schon geschlagen ist?

Merkel: Ich persönlich und die ganze Bundesregierung hält Eurobonds in dieser Phase der europäischen Entwicklung für das falsche Mittel, sogar für schädlich. Das wissen unsere europäischen Partner, und nicht wenige von ihnen sehen es übrigens genauso wie wir. Die Aufgabe ist doch eine ganz andere: Wir müssen überzeugend an den eigentlichen Schwächen der Eurozone arbeiten. Wenn wir uns darauf konzentrieren, werden wir Vertrauen in den Märkten zurückgewinnen und die Krise überwinden.

Die Opposition hält Ihnen vor, Euro-Bonds würden durch die Hintertür eingeführt, weil die EZB schon jetzt Schulden anderer Staaten aufkaufen darf. Was halten Sie dagegen?

Merkel: Ich halte dagegen, dass die EZB unabhängig ist. Das bedeutet für mich, dass sie die für ihr Ziel der Währungsstabilität geeigneten Mittel selbst wählt, ohne dafür belobigt oder kritisiert zu werden. Um diese Unabhängigkeit zu schützen, ist es aber umso wichtiger, dass wir nicht nur die Symptome, sondern vor allem die Ursachen der Staatsschuldenkrise bekämpfen. Dazu müssen wir für solide öffentliche Finanzen im gesamten Euroraum sorgen.

Sollte die FDP bei ihrem Mitgliederentscheid den Euro-Rettungsschirm ESM ablehnen, steht dann die Koalition auf dem Spiel?

Merkel: Ich will diese Koalition fortsetzen. Mit den allermeisten FDP-Politikern, die am Thema Europa arbeiten, habe ich große Übereinstimmung in Zielen und Positionen. Gerade zur Zeit ziehen wir absolut an einem Strang; wir alle wollen die europäischen Verträge so ändern, dass diese Währungsunion sich konsequent zu einer Stabilitätsunion entwickeln kann.

14 Bundestagsabgeordnete aus der Region Bonn fordern von Ihnen wegen der Umzugspläne von Verteidigungsminister Thomas de Maizière nach Berlin eine Positionierung. Wie werden Sie auf deren Brief reagieren?

Merkel: Wenn der Brief erst bei Ihnen war und dann bei mir, ist es ein offener Brief. Und da gibt es eine Regel: Offene Briefe beantworte ich nicht, egal von wem. Aber zur Sache: Es gibt ein Bonn/Berlin-Gesetz, und das wird eingehalten. Die Bundesstadt hat sich in den Jahren seit dem Regierungsumzug sehr gut entwickelt, ich möchte auch, dass das so weitergeht. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass etwa durch die Ansiedlung von UN-Büros in Bonn zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Deswegen werden wir in dieser Richtung gemeinsam weiterarbeiten.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck haben ihnen in gleicher Angelegenheit gleichfalls geschrieben.

Merkel: ...und ich habe ihnen bereits geantwortet.

Verstehen Sie, dass die Abgeordneten aus der Region Bonn in den Bemühungen de Maizières, das Ministerium in Berlin zu konzentriere, einen Rechtsbruch sehen?

Merkel: Nein, weil von Rechtsbruch kann keine Rede sein.

Wenig Schlaf, kaum Freizeit, ein straff getakteter Kalender. Woraus ziehen sie bei Krisen rund um die Uhr die Kraft für Ihr Amt?

Merkel: Aus der Einhaltung meines Terminplans, weswegen wir jetzt auch Schluss machen müssen (lacht). Im Ernst: Es hilft, wenn man seinen Verpflichtungen nicht hinterherhetzen muss.

Und ansonsten habe ich kein großes Geheimnis: Mein Amt macht mir Freude — die Arbeit an der Lösung der Aufgaben, wenn sie auch manchmal gewaltig sind. Ich bin das, was ich bin, gerne. Und das verleiht mir wohl auch Kräfte.

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