Merkels zweiter Sieg über Schröder

Mit diesem Dienstag ist die Kanzlerin länger im Amt als ihr Vorgänger von er SPD.

Berlin. Als in ihrer Umgebung jemand spottete, Gerhard Schröder (68) habe nicht mal zwei komplette Wahlperioden geschafft, schritt Angela Merkel (58) ein. Sie rate zu Respekt.

Sieben Jahre Kanzler müsse man erst mal durchstehen. Am Dienstag überholt die erste weibliche und erste ostdeutsche Chefin im Kanzleramt ihren Vorgänger. Sie regiert 2584 Tage, wo für Schröder nach 2583 Tagen Schluss war. Was hat sie, was er nicht hatte? Ein Vergleich:

Schröder ist Mann, Macho und Emporkömmling. Das prägte sein Verhalten. Schröder war ein Selbstdarsteller. Breit lachend, Männerfreunde, Currywurst, Fußball. Sein Stilmittel war der politische Coup, alternativ das Basta. Wenn nötig, setzte er alles auf eine Karte und verblüffte so die Gegner.

Wie er die Steuerreform durch den Bundesrat bekam, indem er Berlin die Renovierung des Olympiastadions versprach, der Wahlkampf in der Elbeflut, die Vertrauensfrage wegen Afghanistan. Alles waghalsige, aber gelungene Manöver. Das letzte, die Neuwahl 2005, ging freilich schief — Merkel gewann. Man konnte Schröder lieben oder hassen. Aber wenig dazwischen.

Angela Merkel, Pfarrerstochter und Physikerin, braucht die Schrödersche Art von Geltung nicht. Sie hat ihr Häuschen in der Uckermark, ihre Urlaubsroutinen Bayreuth und Tirol. Sie ist normal geblieben, auch im Umgang mit ihrer Umgebung. Merkel ist eine Aufgabenlöserin.

Sie liebt es, wenn es richtig unübersichtlich wird. Die Euro-Rettung findet sie besonders spannend. Nie entgleist sie, jedenfalls nicht öffentlich. Kehrseite der Perfektion: Man spürt keine Leidenschaft, kein Herz, auch keine Freundschaft zu den Bürgern. Wenn sie einmal abtritt, werden nur wenige das Gefühl haben, sie gekannt zu haben.

Es passt zum Naturell Schröders, dass seine Kanzlerjahre eine Achterbahnfahrt waren. Erst der Bruch mit Oskar Lafontaine, dann Reformen: Staatsbürgerschaftsrecht, Erneuerbare Energien-Gesetz, Steuersenkungen. Allerdings waren diese Refomen nicht schwer.

Wirtschaftlich aber war Deutschland der kranke Mann Europas. Schröder brauchte die Fast-Niederlage von 2002, um sich einen größeren Ruck zu geben. Typisch Schröder — jetzt riskierte er alles. Die 2003 formulierte Agenda 2010 ist das mutigste Reformwerk, das je eine Regierung in Deutschland in einem Stück angepackt hat — und hat dem Urheber die Macht gekostet.

Merkel tut schon deshalb gut daran, nicht über das frühe Scheitern ihres Vorgängers zu spotten, weil sie von diesen Reformen profitiert. Auch Merkels Politik passt zu ihrem Naturell. Schröder war ein Instinktpolitiker, Merkel wartet ab. Als sie es einmal nicht tat, noch vor ihrer Kanzlerschaft 2003 beim Leipziger Reformparteitag, ging es grandios schief.

Kopfprämie und Bierdeckelsteuer ließen die Union abstürzen. Seitdem überlässt die CDU-Chefin die Offensive lieber anderen — und geht auf Distanz, falls die Sache scheitert. Nur beim Euro bleibt sie dran. Da hatte sie anfangs zwar keinen Plan. Bis sie merkte, dass sich aus der Not eine Tugend machen lässt: die Wandlung Europas zu einer wahren Wirtschafts- und Währungsunion. Nun ist das ihr Thema.

Am Ende wird man beiden Kanzlern, trotz unterschiedlicher Stile, jeweils einen großen Erfolg anrechnen können. Schröder die inneren Reformen, Merkel die Reform Europas — obwohl beide keine Visionäre sind. Oder gerade deshalb.

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