Neustart für Peer Steinbrück

Mit einer langen Rede überzeugt der Kanzlerkandidat der SPD die 600 Delegierten.

Hannover. Halle 8 der Hannover Messe ist ein Rondell, und der Kandidat selbst hat am Vorabend gesagt, er fühle sich wie ein Trapezkünstler. „Die Manege ist eröffnet.“ Da steht Peer Steinbrück nun einsam vor einer in SPD-Rot ausgekleideten Fotowand mit Deutschlandmotiven und zeigt sein gewagtes Zirkusstück: Kanzlerkandidatur eines Politikers, der eigentlich schon aufs Altenteil gegangen war, für eine Partei, die ihn eigentlich nicht wollte.

600 Delegierte gucken zu, bangen, dass er abstürzen könnte, hoffen, dass er glänzt. Den ersten Anlauf hat der Artist verpatzt. Die Affäre um seine Honorare und missverständliche Bemerkungen, all das wird in seiner Partei offen als Fehlstart gewertet. Es liegt ein außergewöhnlicher Druck auf dem Auftritt, nichts weniger als einen Neustart des SPD-Wahlkampfes soll er bringen.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Parteichef Sigmar Gabriel erklären in ihren Reden, warum Steinbrück der richtige Kandidat ist. Kraft sagt: „Er ist nicht nur Finanzpolitiker, wir kennen ihn aus Nordrhein-Westfalen auch anders.“ Gabriel versucht der misstrauischen Basis den 65-Jährigen so schmackhaft zu machen: „Gerade weil Peer Steinbrück öffentlich nicht als Sozialpolitiker wahrgenommen wird, gerade weil ihm viele Menschen zutrauen, die richtigen wirtschaftlichen Entscheidung zu treffen, ist er für uns der richtige Kanzlerkandidat.“ Es wirkt, als stellten sie einen Fremden vor.

Dann springt der Artist auf die Bühne. Steinbrück ist nervös, das merkt man. Aber er ist auch geschickt, wärmt sich und den Saal fast 20 Minuten lang mit Hinweisen auf die große Geschichte seiner Partei auf. Gut, dass Erhard Eppler da vorne sitzt und zufällig heute 86 Jahre alt wird. Gut, dass sich Helmut Schmidt, kaum das ihn die Saalkamera einfängt, unter dem Johlen der Delegierten eine Zigarette ansteckt, gut, dass Gerhard Schröder sein breitestes Schröder-Grinsen aufsetzt.

Steinbrück, der Vertreter der Agenda-Reformen, der Honorar-Millionär, weiß, dass bei der Parteilinken das Misstrauen gegen ihn am größten ist, also hält er eine ausgesprochen linke Rede. Mindestlohn, Solidarrente, Vermögensteuer, Kontrolle der Finanzmärkte, „kein Pardon mit Steuersündern“.

Er bemüht sich erkennbar um eine Imagekorrektur. Soziale Wärme rein, die Kälte des Finanzpolitikers raus. Sogar die Länge seiner Rede macht er selbstironisch zum Thema, nach 90 Minuten. Eine gute Rede, das lerne man in der Schule, bestehe aus kurzer Einleitung, tragendem Hauptteil und fulminanten Schluss. „Ich komme jetzt zum Hauptteil.“ Spätestens da hat er den Saal.

Als er endet, klatschen sie lange und frenetisch. Zehn Minuten dauert der Jubel, das sind knapp drei Minuten mehr als Merkel vor fünf Tagen an gleicher Stelle bei ihrem Parteitag. Und 93,45 Prozent stimmen für ihn als Kanzlerkandidat — vier Prozent weniger als die Kanzlerin bei der CDU erhielt. Der Bundestagswahlkampf ist eröffnet.

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