Koalition greift Gabriel nach Vorstoß zur Euro-Rettung frontal an

Berlin (dpa) - Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist mit seinem Plädoyer für eine langfristig gemeinschaftliche Euro-Schuldenhaftung auf scharfe Ablehnung bei der schwarz-gelben Koalition gestoßen.

Vertreter von Union und FDP warfen Gabriel am Montag in Berlin vor, er strebe eine Schuldenunion zulasten Deutschlands an. Von Ökonomen kam dagegen Zustimmung. Die Bundesregierung hält eine von Gabriel ins Spiel gebrachte Volksabstimmung zur Europapolitik für Zukunftsmusik.

Gabriel hatte in der „Berliner Zeitung“ für eine offene gemeinschaftliche Haftung für die Schulden aller Euro-Staaten bei gleichzeitiger strenger gemeinsamer Haushaltskontrolle geworben. Er machte sich damit einen Vorschlag der Professoren Jürgen Habermas, Peter Bofinger und Julian Nida-Rümelin zu eigen, den diese für die Wahlprogrammdiskussion der SPD formuliert haben. Demnach soll ein Verfassungskonvent eine Grundgesetzänderung erarbeiten, über die per Volksabstimmung abgestimmt werden solle.

Vize-Regierungssprecher Georg Streiter sagte dazu: „Erst einmal muss sich ja die Europäische Union einig werden, was sie will und wie sie zu einer stärkeren politischen Union kommen will.“ Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe mehrfach erklärt, dass man Schritt für Schritt vorgehen müsse, um das Fehlen einer politischen Union wettzumachen. Sollte es am Ende tatsächlich zu einer Volksabstimmung kommen, sei „letztlich das geltende Grundgesetz der Maßstab“.

Gabriel wies Darstellungen über einen angeblichen Kurswechsel der Sozialdemokraten als „schlichten Unfug“ zurück. Er selbst und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hätten schon seit Monaten immer wieder eine gemeinsame Steuer- und Wirtschaftspolitik in Europa angemahnt, sagte Gabriel in Berlin. Eine solche Abgabe von nationalen Souveränitätsrechten an das Europäische Parlament oder eine europäische Regierung sei unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass Schulden auch vergemeinschaftet werden könnten.

Dafür müsse aber zunächst der erste Schritt getan werden: „Sie werden den Euro nicht zusammenhalten, ohne eine gemeinsame Steuer- und Finanzpolitik“, sagte Gabriel. Eine Abgabe von Souveränitätsrechten an Europa setze nach dem Grundgesetz zwingend auch eine Volksabstimmung voraus. Nichts anderes habe auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor kurzem erklärt.

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle meinte, Gabriel entlarve sich mit seinem Vorpreschen für eine Vergemeinschaftung der Schulden in Europa selbst. „Geld ausgeben, das man nicht hat, und dann andere dafür zahlen lassen, war schon unter Rot-Grün ein falsches Rezept.“ Der Vorschlag zeige, dass die SPD eine Schuldenunion wolle. Nach Ansicht von FDP-Generalsekretär Patrick Döring ist Gabriel mit „seinem Zick-Zack der Positionen“ immer weniger ernst zu nehmen.

Unionsfraktionsvize Michael Meister (CDU) kritisierte, „Gabriels Vorschlag bedeutet, dass Arbeitnehmer, Rentner, Sparer und Unternehmer für die Schulden der anderen Mitgliedstaaten aufkommen sollen.“ Als Bundestags-Abgeordneter fühle er sich jedoch diesen Menschen verpflichtet und nicht der sozialistischen Internationale. FDP-Fraktionsvize Volker Wissing erklärte laut „Handelsblatt online“: „Deutsche Arbeitnehmer sollen (...) mehr Steuern bezahlen, damit in Südeuropa weniger gespart werden muss.“

„Gabriel wird gemeingefährlich“, meinte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Der Vorschlag sei ein „Generalangriff des SPD-Vorsitzenden auf die deutsche Steuerkasse“. Damit gebe Gabriel den Haushalt zur Plünderung für reformunwillige Schuldenländer frei, sagte Dobrindt der „Rheinischen Post“.

Zustimmung kam von Ökonomen: „Wenn dann die Mehrheiten in Europa für eine Haftungsunion stimmten, wären die notwendigen zwischenstaatlichen Transfers demokratisch legitimiert“ sagte der Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, Kai Carstensen, zu „Handelsblatt online“. Auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, zeigte Sympathie für die Idee: „Gabriel hat Recht, dass eine weitergehende Fiskalunion mit strengen Regeln für die Haushaltskontrolle nicht auf der Basis des bestehenden Grundgesetzes möglich ist.“

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