Viele Vorurteile gegen Zuwanderer bei Sicherheitsbehörden

Berlin (dpa) - Ein Jahr nach Aufdeckung der rechtsextremen Terrorzelle NSU werden tiefsitzende Ressentiments gegen Zuwanderer im deutschen Sicherheitsapparat beklagt.

„Wir haben es mit einem Struktur- und Mentalitätsproblem zu tun“, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden, Sebastian Edathy (SPD), am Donnerstag in Berlin. Der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, forderte deshalb eine Einstellungsquote für Polizisten mit Migrationshintergrund.

Mehr Migranten in der Polizei könnten die Beamten gegen fremdenfeindliche und rechtsextreme Tendenzen in der Bevölkerung sensibilisieren, sagte Ziercke am Donnerstag auf einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin. Auch die Aus- und Fortbildung müsse verbessert werden. Der BKA-Chef wies Kritik zurück, wonach die Polizei „auf dem rechten Auge blind“ sei. Es gebe allerdings ein steigendes Potenzial des Rechtsextremismus in Deutschland.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann nannte die Aufdeckung der Neonazi-Terrorzelle eine „Zäsur“ für die Bundesrepublik. Von dem erforderlichen Umbau der Sicherheitsarchitektur sei Deutschland aber noch weit entfernt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) habe ein unausgereiftes Konzept vorgelegt und damit „Verwirrung und Unsicherheit“ gestiftet. „Die Haltung der Menschen in diesem Land muss sich ändern“, sagte Oppermann. Er bekräftigte auch die Forderung nach einem neuen NPD-Verbotsverfahren.

Edathy betonte, in großen Teilen der Sicherheitsbehörden sei immer wieder hartnäckig geleugnet worden, dass es in Deutschland Rechtsterrorismus geben könne. „Wir brauchen mehr Sensibilität bei den Behörden“, forderte der SPD-Politiker.

Nach Ansicht des Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, haben die Vertuschungsversuche bei der Mordserie gezeigt, dass es ein „riesiges Rassismus-Problem“ in Deutschland gebe. „Der Rechtsruck in der Gesellschaft ist kein Randthema, sondern eindeutig ein Thema der Mitte geworden“, sagte Kolat. Der Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form werde nicht gebraucht.

Die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) war vor einem Jahr entdeckt worden. Ihr werden neun Morde zwischen 2000 und 2007 an Einwanderern aus der Türkei und Griechenland und an einer deutschen Polizistin zur Last gelegt. Die mutmaßlichen Haupttäter, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, hatten sich am 4. November 2011 bei Eisenach in einem Wohnmobil erschossen. Gegen die Überlebende des Trios, Beate Zschäpe, soll in Kürze Anklage erhoben werden.

Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Mordserie, Barbara John, schlug die Einrichtung einer Stiftung vor, um die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten. Bei Gedenktafeln dürfe es nicht bleiben.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bekräftigte ihre Forderung nach einer Reform der Sicherheitsbehörden. „Personalveränderungen allein reichen nicht“, sagte die FDP- Politikerin der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag). „Es gab und gibt eine alltägliche rechtsextrem motivierte Gewalt“, sagte sie. Der Rechtsextremismus spanne Netzwerke bis in die Mitte der Gesellschaft.

Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (Linke) erinnerte daran, dass schon vor den NSU-Morden seit 1990 in Deutschland über 100 Menschen Opfer rassistischer Gewalt geworden seien. „Zum Blackout der Sicherheitsbehörden kam und kommt alltäglicher Rassismus, von Amts wegen und inmitten der Gesellschaft“, sagte sie.

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