Kurt Holl: Der Chronist der Rebellion

Vor 40 Jahren brachen Studenten mit den Werten ihrer Eltern. Einer von ihnen war Kurt Holl.

Köln. Er hat sich das oft gefragt: Warum ist den Menschen der Idealismus abhanden gekommen? Der Optimismus, dass man sich nicht zufrieden geben darf mit den herrschenden Verhältnissen? Wo ist denn die Wut geblieben über die neuen Kolonialkriege, die der Westen für sein Öl führt?

Und dann ist Kurt Holl schon beim Innenminister, der "ein System der Einschüchterung perfektioniert, das die von den 68ern bekämpften Notstandsgesetze als harmloses Rumdoktern an Grundrechten erscheinen lässt". Er zuckt mit den Achseln: "Aber während ich mich empöre, weiß ich nicht einmal, wo der Herr Schäuble seinen Amtssitz hat."

Nein, Kurt Holl ist keiner der Selbstgerechten, die von 1968 reden, um damit ihr eigenes Heldenepos zu glorifizieren. Er stellt diese Fragen ganz allgemein und damit auch sich selbst.

Andererseits aber kann niemand behaupten, Holl habe seine Ideale verraten. In den 90ern zum Beispiel, da hat er bei den Grünen hingeschmissen, als Joschka Fischer und die anderen von der Partei-Spitze für den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr waren.

Und dann sind da diese frischen Ideen. Neulich hat er seinem 12-jährigen Sohn vorgeschlagen, gemeinsam vor Starbucks gegen die Ausbeutung äthiopischer Kaffee-Bauern zu demonstrieren. Kurt Holl hält inne. "Aber der Funke ist nicht übergesprungen, ihm wäre das peinlich gewesen."

Kurt Holl wohnt mit seiner Frau und seinem Sohn hinter einer Gründerzeit-Fassade im Herzen Kölns, dort, wo die Stadt besonders extrovertiert, schrill und jung ist. Holl ist jetzt 70Jahre alt, eine Zahl, die insofern in die Irre führt, als er jünger wirkt, so, als sei das letzte Jahrzehnt wirkungslos an ihm vorbeigerauscht.

Dabei hat das Dasein als pensionierter Geschichtslehrer durchaus Vorteile. Holl sagt: "Man muss nicht mehr so viele Rücksichten nehmen." Dann lächelt er genießerisch, als er von der Podiumsdiskussion erzählt, neulich, als es diese Empörung gab, nur weil er anregte, man könne doch bei Herrn Schäuble in Sachen Online-Durchsuchung mal den Spieß umdrehen. Es liege doch nahe, junge Computerhacker auf die Datenbanken des Innenministeriums anzusetzen.

Nein, Holl hat das Provozieren noch nicht verlernt, und er genießt es noch immer, wenn die Leichtigkeit der rebellischen Idee mit bleischwerem deutschen Entrüstungspotenzial kollidiert. In den späten 60ern jedenfalls wäre einiges los gewesen vorm Innenministerium, wo auch immer es steht in Berlin. Vielleicht wären Tomaten geflogen, vielleicht hätte die Polizei mit Wasserwerfern geantwortet. Vielleicht hätten die Demonstranten die grüne Staatsmacht mit weißem Pulver aus geklauten Feuerlöschern eingenebelt.

Aber irgendwie gehen sie ihm dann doch auf die Nerven, die vielen Randale-Stereotypen. Kurt Holl ist Historiker und damit von Natur aus Sammler und Klischee-Jäger, einer, der die Details der Bewegung zu einem Mosaik zusammenfügt, das in seiner Buntheit alle Mythen als blasse Trugbilder entlarvt. In seinem Arbeitszimmer stapeln sich die Dokumente bis zur hohen Altbau-Decke: Bücher, Kisten mit Fotos, Akten mit Flugblättern, Zeitungsausschnitte.

Er hat sie gesammelt, die Geschichten der respektlosen Generation, und jetzt hat er sie zusammen mit der Historikerin Claudia Glunz unter dem Titel "1968 am Rhein" neu herausgegeben.

Holls eigene Respektlosigkeit brachte ihm damals elf Ermittlungsverfahren ein, weswegen er als junger Geschichtslehrer fünf Jahre Berufsverbot erhielt. Fünf Jahre, in denen er für 80Pfennig die Stunde auf dem Friedhof Unkraut jätete.

Inhalt "Satisfaction und Ruhender Verkehr - 1968 am Rhein" erzählt detailreich die Aufbruchbewegung, die Ende der sechziger Jahre das Rheinland erfasste. These der Herausgeber Claudia Glunz und Kurt Holl: Die Fixierung der Medien auf die Apo in Berlin und Frankfurt ließ vergessen, dass sich am Rhein kulturrevolutionäre Inititativen entfalteten, die auf die gesamte Republik ausstrahlten. Das Rheinland war keine 68er-Provinz, sondern als Zentrum der Adenauerrepublik und klerikale Hochburg ein vielfältiges Experimentierfeld der Studentenbewegung: Christen wagten den Konflikt mit dem Klerus, die studentische Spaßguerilla trieb es immer wilder. Und in Köln setzten Künstler, Undergroundfilmer, Tänzer und Musiker Maßstäbe. All dies findet sich in dem Bildband dokumentiert.

Daten Das Buch erscheint am 10.April, Emons-Verlag, 320 S., 23 x 32 cm, 600 Abb., 29.80 Euro.

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