Merkel sucht nach Kompromissen

Die Kanzlerin vermeidet auf dem Weltwirtschaftsforum Kritik am britischen Premier Cameron.

Davos. David Cameron konnte es nicht lassen. Die EU als politische Union, als „ein Land mit dem Namen Europa“? Nein, niemals. Einer maßgeblich von Deutschland vorangetrieben Vertiefung der politischen Integration Europas erteilte Cameron gestern — wie schon am Vortag in London — eine klare Absage. „Großbritannien möchte dann nicht dazugehören“, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

Drei Stunden später wurde die Kanzlerin von Forumsgründer Klaus Schwab aufs Podium gebeten. Doch wer Kritik in Richtung London erwartet hatte, wartete vergebens. Mochten andere EU-Regierungschefs — unter ihnen Italiens Mario Monti, Irlands Enda Kenny und Mark Rutte aus den Niederlanden — die Briten in Davos auch eindringlich vor dem Weg in Richtung EU-Ausgang warnen.

24 Stunden nach der von manchem als britische Drohung empfundenen Londoner EU-Rede ist Merkels Marschrichtung klar: Streit vermeiden, kein Öl ins Feuer gießen, nach Kompromissen suchen. Jedes Mal, wenn sie in ihrer mit Spannung erwarteten Rede in Davos den „Kollegen David Cameron“ erwähnte, tat sie das, um ihm zuzustimmen. Ja, wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken. Klar, der Freihandel muss gestärkt werden, genau wie David Cameron schon gesagt hatte. Und ja, der Kampf gegen Steuerhinterziehung muss im Rahmen der G8-Staaten vorangetrieben werden, deren Vorsitzender Cameron derzeit ist.

Schon nach der vergleichsweise milden Reaktion Merkels auf die Londoner EU-Rede hatten britische Zeitungen erfreut in die Hände geklatscht: Merkel sei offenbar „bereit zu einem Deal mit Cameron“, hieß es im Boulevardblatt „The Sun“. Auch der den Konservativen nahestehende „Daily Telegraph“ sah Hinweise auf einen Handel. Und der eher Labour zugeneigte „Guardian“ fand, Merkel würde Cameron mit ihrer zurückhaltenden Reaktion eine Atempause verschaffen.

Dass die auch in Davos oft als „mächtigste Frau Europas“ bezeichnete Kanzlerin im Grunde wohl nicht mit einem Austritt der Briten rechnet und einmal mehr auf Geduld und Einsicht setzt, machte sie vor allem nach ihrer Rede deutlich. Schwab sprach sie auf Camerons Äußerung an, Großbritannien werde niemals der Eurozone beitreten und fragte nach den Konsequenzen. Merkels Antwort: Alle Maßnahmen der Euroländer — ob Bankenaufsicht, Fiskalpakt oder verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung — seien zwar bindend für sie selbst, aber alle anderen EU-Länder könnten sich später freiwillig anschließen. „Es ist für die Psychologie ganz wichtig, dass wir keinen ,closed shop’ (geschlossene Gesellschaft; Anm. d. Red.) im Euro-Raum machen.“

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