Hagener Nazi-Prozess gegen SS-Mann geht auf die Zielgerade

Siert Bruins soll in den Niederlanden an der Ermordung mehrerer Menschen beteiligt gewesen sein. Der Prozess im Fall des Widerstandskämpfers Aldert Klaas Dijkema geht in Hagen aufs Ende zu.

Hagen (dpa). Der Hagener NS-Prozess um die Ermordung eines niederländischen Widerstandskämpfers im Raum Delfzijl bei Groningen geht auf die Zielgerade. Angeklagt ist der gebürtige Niederländer Siert Bruins, der als Angehöriger der Waffen-SS im Krieg die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt hatte. Er soll 1944 an der Ermordung von Aldert Klaas Dijkema beteiligt gewesen sein.

Wegen mehrerer Taten war die „Bestie von Appingedam“, wie er später genannt wurde, nach dem Krieg in den Niederlanden in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Ausgeliefert wurde er wegen der deutschen Staatsbürgerschaft nicht. Später wurde die Strafe zu lebenslänglich umgewandelt.

Bruins soll - zusammen mit einem weiteren Mitglied des Sicherheitsdienstes - Dijkema am Rande der Grenz- und Hafenstadt Delfzijl auf der Westseite der Emsmündung hinterrücks erschossen haben. Die SS-Männer sollen den Festgenommenen auf dem Weg von Delfzijl nach Appingedam aus dem Auto gelassen und aufgefordert haben: „Geh mal eben pissen.“ Dann fielen vier Schüsse. Später gaben Bruins und August Neuhäuser an, Dijkema sei auf der Flucht erschossen worden.

Der im Prozess schweigsame Bruins hatte vor Gericht eingeräumt, er sei am Tatort gewesen, habe aber nichts von dem Plan gewusst. Außerdem habe Neuhäuser geschossen. Der ist allerdings inzwischen tot und hatte früher ausgesagt, Bruins und er hätten Dijkema auf Befehl von hinten erschossen. In anderen Aussagen hatte er auch allein Bruins belastet. Lebende Zeugen gibt es nicht mehr. Die Verteidigung sieht Zweifel, weil Neuhäusers Aussagen wechselten.

Die Anklage stützt sich auf alte Vernehmungsprotokolle und andere Dokumente. Allerdings sollen noch Zeugen aus den Niederlanden gehört werden, unter anderem der Sohn eines niederländischen Polizisten, der nach den Schüssen zum Tatort gerufen wurde. Der Beamte habe sich gewundert, dass das Opfer eine Hand in der Tasche gehabt habe. Das habe nicht auf eine Flucht hingedeutet.

Alten Protokollen und Prozessen zufolge sind Bruins und Neuhäuser noch an weiteren Taten beteiligt gewesen. Beide waren 1980 in Hagen bereits wegen Beihilfe zur Erschießung zweier jüdischer Brüder zu Haftstrafen verurteilt worden. Damals hatten sich Bruins und Neuhäuser die Schuld gegenseitig zugeschoben. Die Ermittlungen im Fall Dijkema waren damals noch vor Prozessbeginn eingestellt worden. Die Tat war als Totschlag und damit als verjährt eingestuft worden. Mittlerweile wertet die Staatsanwaltschaft die Erschießung jedoch als Mord.

Für den jetzigen Prozess sind noch mindestens vier Verhandlungstage vorgesehen. Ein Urteil soll voraussichtlich noch dieses Jahr gefällt werden. Die Möglichkeiten lauten auf Freispruch, Beihilfe zum Mord oder Mord.

Die Reihe von Prozessen gegen mutmaßliche Nazi-Verbrecher wird voraussichtlich andauern. Die NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg will nach ihren Vorermittlungen 30 Verfahren an Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland abgeben. Den Beschuldigten wird Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau vorgeworfen. Mindestens vier Fälle beziehen sich auf mutmaßliche Täter in Nordrhein-Westfalen.

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