Kinder und Jugendliche in NRW haben zu wenig Freizeit

Weniger Oberstufenschüler besuchen die Musikschule, Jugendgruppen fehlt es an Helfern im Schüler- oder Studentenalter. Das Turbo-Abi und die Ganztagsschule vermiesen Schülern in NRW die Freizeit, beklagen Schulen und Verbände.

Essen (dpa). Zum Abi in zwölf Jahren und Ganztagsunterricht: Heranwachsende haben nach Ansicht von Jugendverbänden wegen gestiegener Anforderungen in der Schule zu wenig Freizeit. So beobachtet Volker Gerland, Vorsitzender des NRW-Landesverband der Musikschulen, dass inzwischen mehr Oberstufenschüler das Lernen eines Instruments drangäben als früher

Seit 2009 sei die Zahl der Musikschüler in diesem Alter von rund 85 000 um etwa zehn Prozent auf 83 000 gesunken, sagte Gerland. Viele Eltern wollten ihre Kinder angesichts des Unterrichtspensums entlasten und hielten den Musikunterricht am ehesten für verzichtbar. Keine gute Entscheidung, findet Gerlach: „Ich glaube, dass nicht nur die harten Fächer in der Schule dazu führen, dass man später ein erfolgreiches Berufsleben und zufriedenes Leben führt“.

Musik gehöre zur persönlichen Entwicklung dazu. Auch die „Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung“ hatte kürzlich über die Entwicklung berichtet. Ein großer Pfadfinderverband geht noch weiter: „Die Ganztagsschule ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft“, beklagt Dominik Naab, Bundesvorsitzender der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG).

Sie lasse den Kindern und Jugendlichen keine selbstbestimmten Freiräume für ihre persönliche Entwicklung. Denn nur außerhalb der Schule könnten sie lernen, sich ohne den Zwang der Schule selbst zu organisieren. Für den Breitensport sieht der Landessportbund NRW dagegen weniger negative Auswirkungen durch die Schulreformen: Zwar könne bei vielen Sportvereinen das Training wegen der Ganztagsschule erst am späten Nachmittag beginnen, sagt Pressesprecher Frank-Michael Rall.

Doch viele Sportvereine passten sich den Umständen an und böten ihr Angebot mittags im Rahmen der Ganztagsschule an. Eine engere Zusammenarbeit, etwa durch Jugendgruppen-Angebote im Schulgebäude, ist für den Pfadfinder-Vorsitzenden Naab keine Lösung. Schulen würden Jugendverbände ohnehin oft nicht auf Augenhöhe begegnen, sondern sie als „Erfüllungsgehilfen zur Gestaltung des Nachmittagsangebots“ wahrnehmen, beklagt Naab, der zugleich stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Bundesjugendringes ist.

Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) teilt die Sorge: „Kinder und Jugendliche brauchen wieder mehr Freizeit, um sich und ihre Persönlichkeit zu entwickeln“, sagt Bundesvorstandssprecher Michael Kreuzfelder. Die Schulreformen hätten auch anderswo zu einem Problem geführt, beklagt er: Vor allem ehrenamtliche Jugendleiter, häufig selbst Schüler oder Studenten, seien wegen der Bildungsreformen der vergangenen Jahre immer schwieriger zu finden.

Daher könne selbst trotz bleibender Nachfrage bei Kindern und Familien, oftmals keine Jugendarbeit stattfinden.

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