Lustreisen: Politiker an den Katzentisch

In Brühl wird das erste Urteil gegen einen Kommunalpolitiker gefällt, der mit einem Energieversorger unterwegs war.

<strong>Brühl. War es rechtens, dass Kommunalpolitiker jahrelang von Unternehmen der Energiebranche zu aufwändigen Reisen eingeladen wurden, weil sie in Aufsichtsräten kommunaler Versorgungsfirmen saßen? Staatsanwälte und Politiker an Rhein und Ruhr sind darüber völlig unterschiedlicher Meinung. Beim ersten Prozess um mutmaßliche Lustreisen auf Einladung der Gasversorgungsgesellschaft (GVG) Hürth im Amtsgericht Brühl gab es tiefe Einblicke ins Seelenleben der weitgereisten Kommunalpolitiker. Am Montag wird das Urteil erwartet. Von ursprünglich drei Angeklagten blieb am Ende nur noch Heinz Weller, ehemaliger Beigeordneter der Stadt Frechen, übrig: Wolfgang Thelen, Beigeordneter der Stadt Pulheim, und Karl-Peter Nahlen, CDU-Ratsherr aus Wesseling beeilten sich, frühere Strafbefehle doch noch zu akzeptieren. Zu groß war die Furcht vor einem harten Urteil. Immerhin forderte die Staatsanwaltschaft im verbliebenen Fall des ehemaligen Frechener Kämmerers 17 000 Euro - der Pensionär wäre damit vorbestraft. Der Angeklagte aber fühlt sich weiterhin unschuldig. "Ich dachte, es gilt der alte kölsche Grundsatz: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch", erklärte der promovierte Jurist Weller.

"Von einer Lustreise kann keine Rede sein. Ich bin schließlich mit meiner Frau dort gewesen." Norbert Königshofen, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Essen, der mit dem Aufsichtsrat der Essener Stadtwerke 2005 nach Budapest fuhr.

"Von den Reisen als Geschenk kann keine Rede sein", sagt sein Verteidiger Horst-Hugo Kupzog: "Das war eher lästig. Immerhin hat mein Mandant einen hohen Anteil seiner Freizeit dem Unternehmen geopfert." Eine Ansicht, die auch der langjährige Vorstandschef der Kölner Rheinenergie, Helmut Haumann, bestätigte: "Das kann nur von Leuten kriminalisiert werden, die keine Ahnung haben, wie Wirtschaft funktioniert." Man solle "nicht nur den Neidfaktor sehen", sagte Haumann im Zeugenstand: "Zur Pflege des Netzwerks gehört der persönliche Kontakt." Wofür die Netzwerke in der Energiebranche genutzt wurden, darüber bestand in diesem Prozess ein grundsätzlicher Dissens. Die Kommunalpolitiker seien gezielt 2004 nach Brügge und auf eine Bohrinsel in Norwegen eingeladen worden, um Wohlwollen zu erzeugen, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Der "touristische Wert" habe gegenüber dem fachlichen "deutlich überwogen". Keinen Cent hätten die Teilnehmer für teure Essen, Hotels und Hubschrauber-Flug bezahlt. Nach Flandern seien sogar die Ehefrauen mitgereist. In den Aufsichtsräten kommunaler Versorgungsunternehmen seien sie etwa gegenüber langfristigen Lieferverträgen aufgeschlossen gewesen. Dabei habe die Gefahr negativer Auswirkungen für die Bürger bestanden, weil die Unternehmen nicht nach Marktlage zu einem günstigeren Vorlieferanten hätten wechseln können. Dass in den fraglichen Aufsichtsräten neben den Vertretern der Wirtschaft auch solche der Kommune sitzen, wurde zum weiteren Kernproblem der Verhandlung. Denn Politiker gelten hier als Amtsträger, und für die sind die Vorschriften über die Annahme von Geschenken besonders eng gefasst. "Soll ich sagen, die Herren kommen an den Katzentisch und bekommen jetzt mal keinen Champagner?", fragte Haumann stichelnd. Falls solche Einladungen ungesetzlich seien, müsse man die Gesetze ändern. Der Prozess zeigt, worum es bei jeder einzelnen dieser Reise- Einladungen durch die Energiebranche geht: die Balance zwischen Information und Korruption. Das Urteil gegen den früheren Frechener Beigeordneten wird das erste sein in der Lustreisen-Affäre, die inzwischen bundesweite Kreise zieht. Verfahren

Strafen Die meisten der mehr als eintausend Verfahren gegen Kommunalpolitiker, die an so genannten Lustreisen teilgenommen haben, sind noch offen. Einige wurden gegen Zahlung von Geldauflagen oder Strafbefehle eingestellt.

Neuer Prozess Ein Mammutprozess wird in Kürze in Gummersbach erwartet. 14 Bürgermeister, Verwaltungschefs und Kommunalpolitiker aus dem Oberbergischen werden wegen Vorteilsnahme beziehungsweise Untreue angeklagt. Sie waren mit der Gasgesellschaft Aggertal beispielsweise nach Skandinavien oder Italien gereist.

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