Porträt Joachim Gauck

Das Staatsoberhaupt hat heute die Hälfte seiner Dienstzeit hinter sich. Er legt das Amt neu aus — doch nicht jedem gefällt das.

Berlin. Es gibt Momente im Präsidentenleben des Joachim Gauck, da brechen Dämme. Dann senkt er den Kopf und schluchzt leise. Obwohl Gauck schnell auch öffentlich gerührt ist, haben diese Momente doch etwas Wahrhaftiges. Man konnte sie erleben in Israel, in Griechenland, in Frankreich, überall dort, wo an die Schrecken erinnert wurde, die die Deutschen im Zweiten Weltkrieg über die Welt brachten. Es ist die Verantwortung, die Gauck dann emotional umtreibt. Der 74-Jährige sieht sich als Versöhner. Das ist ein zentrales Kennzeichen seiner bisherigen Präsidentschaft. Aber es ist nicht das einzige.

Die Zeiten, in denen Joachim Gauck seinen Mitreisenden noch mit kindlicher Begeisterung die präsidialen Manschettenknöpfe mit Bundesadler vorgeführt hat, sind lange vorbei. Am 18. März 2012 wurde er zum Bundespräsidenten gewählt, die Hälfte seiner fünfjährigen Amtszeit ist heute um. In den zweieinhalb Jahren im Schloss Bellevue hat der heute 74-Jährige rund 300 Reden gehalten, zahlreiche Auslandsreisen unternommen — und eine Wandlung durchlebt. Freiheitspapst zu sein, ein Mann der schönen und geschliffenen Worte, das prägte die ersten Monate. Aber es reichte nicht. Auch nicht, dass er dem Amt die Würde zurückgab, die durch seinen zurückgetretenen Vorgänger Christian Wulff abhanden gekommen war. Gaucks Reden wurden registriert, aber nicht wirklich gehört. Es plätscherte anfänglich mit ihm dahin. „Wo ist Gauck?“, fragten die Fallensteller relativ rasch.

Gauck hat dazugelernt. Anfänglich versuchte der gebürtige Rostocker noch gelegentlich, sich abzugrenzen von der Kanzlerin und ihrer Regierung. Angela Merkel hat ihn ja als Präsidenten nie gewollt. Das ging schief, tapsig und selbstverliebt, wie Gauck manchmal sein kann. Merkel hat ihm nach seiner Israelreise 2012, als er ihr Wort von der Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson infragestellte, den Kopf gewaschen. Dieser Vorgang war eine wichtige Lehrstunde für das Staatsoberhaupt, wenn nicht sogar die wichtigste. „Ich bin kein Neben-Außenpolitiker“, sagt er seitdem immer wieder.

Damals zerbrach wohl die Illusion des Mannes aus der DDR-Bürgerbewegung, über Anstöße hinaus in diesem Amt Politik mitgestalten zu können. Das funktioniert nicht, jedenfalls nicht mit Merkel an der Regierungsspitze. Seitdem sucht Gauck mit ihr den Gleichklang, er kennt jetzt seine Grenzen, die er nicht mehr überschreitet. Allerdings verbal manchmal noch arg dehnt.

Joachim Gaucks Meinung zu Rechtsradikalen

Der Versöhner will Deutschland aber nicht aus der besonderen Verantwortung lassen, die er empfindet und die ihn emotional so stark berührt. Er fordert zum Beispiel mehr Engagement für Flüchtlinge, mehr Europa, mehr Einsatz der Bürger für die Demokratie oder bezeichnet Rechtsradikale als „Spinner“. Sein Auftritt auf der Sicherheitskonferenz in München im Januar dieses Jahres markierte in diesem Zusammenhang wohl das Ende der Gauck’schen Veränderung weg vom nachdenklichen und hin zum fordernden Präsidenten. Dort plädierte er für ein deutlich entschiedeneres Engagement in der Welt, nicht nur, aber auch militärisch. Das war mutig. Und riskant. Denn es rief wie von selbst die Kritiker auf den Plan, die aus historischen Gründen Deutschland eben keine größere militärische Rolle zugestehen wollen. Bei seiner Rede auf der polnischen Westerplatte zum Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Gauck noch deutlicher — er ging hart mit Russland ins Gericht, sprach davon, wegen des Ukraine-Konflikts „Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen“ zu wollen. Vielen gefällt die neue Tonalität nicht. Gauck glaubt aber, dass ein Präsident Ecken, Kanten, vor allem Positionen haben muss. Damit steht er nicht allein.

Seine Lebensgefährtin Daniela Schadt ist seine enge Beraterin. Auch sie hat mit ihren unaufgeregten Auftritten viele Sympathien gewonnen. Ob er noch einmal antritt? Das, so heißt es, wisse Gauck selbst noch nicht. Und sie hat ein Wörtchen dabei mitzureden. Auf den Geschmack ist er jedoch gekommen — ohne Zweifel.

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