Präsident Putin steht über den Dingen

Wladimir Putin redet Russland in seiner Grundsatzrede wieder einmal stark. Die Schuld an Problemen gibt er wie so oft anderen.

Präsident Putin steht über den Dingen
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Moskau. Wohl noch nie haben die Russen eine Grundsatzrede ihres Präsidenten im glanzvollen Georgssaal des Kremlpalasts mit solcher Spannung erwartet. Kann Wladimir Putin in der schwersten Krise mit dem Westen seit dem Kalten Krieg wachsende Existenzängste seiner Landsleute mit einer Ruckrede zerstreuen? Oder bleibt es bei dem Konfrontationskurs? Hoffnungen und Ängste gleichermaßen sind bei den mehr als 1000 Funktionären, Wirtschafts- und Kulturvertretern, den Geistlichen und Medienleuten groß. Unter dem Strich steht: Das auf seine Stärke so stolze Russland beugt sich niemandem.

Schon Hitler sei an dem zähen russischen Volk gescheitert. „Müssen wir denn erst daran erinnern, womit das endete“, sagt Putin. Russland wolle keine Feindschaft, keine Isolation, werde aber auch im Konflikt um die Ukraine weiter seinen Weg gehen — und jedem Druck und allen Bedrohungen widerstehen. Doch als wollten seine Gegner Putin Schwäche nachweisen, kommt es ausgerechnet kurz vor der Rede in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny im Konfliktgebiet Nordkaukasus zum schwersten Terroranschlag des Jahres mit rund 20 Toten.

Wie so oft in seinen jährlichen Reden an die Nation warnt Putin vor inneren und äußeren Gefahren. Und er erinnert auch diesmal an die chaotischen 1990er Jahre, die das Riesenreich an den Abgrund brachten. In seinem historischen Rundumschlag verbreitet er die These, dass der Westen damals die Rohstoffgroßmacht habe kaputtmachen wollen. Und er wirft vor allem den USA vor, die Souveränität Russlands zerstören zu wollen.

Dabei fühlen sich die Russen auch am Tag der Rede wieder gereizt von frischer Kritik von US-Präsident Barack Obama an Putins Politik. Die Antwort gibt der Kremlchef prompt: Das größte Land der Welt will trotz aller wirtschaftlichen Probleme — allen voran die Sanktionen des Westens, die Rubelpanik und der niedrige Ölpreis - standhaft bleiben. Wer versuche, mit Russland von oben herab aus einer Position des Stärkeren zu sprechen, werde scheitern, meint Putin.

Es ist sonst üblich, dass der Präsident sich die außenpolitischen Themen für den Schluss seiner Rede aufhebt. Doch diesmal beginnt er damit — und dankt seinen Landsleuten für ihre „Standhaftigkeit“ in den schicksalhaften Krisenzeiten. Auch Putin weiß, dass seine Politik im Ukraine-Konflikt den Russen nach „fetten Jahren“ große Opfer abverlangt.

Doch die Rede gibt keine Antworten darauf, wie angesichts wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung der soziale Frieden gewahrt oder etwa die ausufernde Inflation gezügelt werden kann. Es sind neben den Schuldzuweisungen an den Westen vor allem die üblichen Aufrufe an die Regierung, sich um die Probleme zu kümmern. Der Präsident steht über den Dingen.

Zwar gibt es immer wieder Applaus während der Rede — etwa, als der Ex-Geheimdienstchef verspricht, Spekulanten, die mit dem Rubel, Lebensmitteln und Arzneien Geschäfte machen, stärker zu verfolgen. Putin will auch den über eine erstickende Wirtschaftspolitik klagenden Mittelstand entlasten — etwa mit Steuererleichterungen und weniger Betriebsprüfungen. Er lässt sogar mit einer Amnestie für Kapitalflüchtlinge aufhorchen.

Aber der Chef des einflussreichen Industriellenverbandes, Alexander Schochin, klatscht nicht, als alle anderen im Saal auch für die Kameras des Staatsfernsehens erfreut Beifall spenden. Es bleibt offen, wie Putin seine Versprechen angesichts einer drohenden Rezession erreichen will. Es ist vielmehr eine Rede, die statt Visionen einen rückwärtsgewandten Blick auf die Größe der Sowjetunion bringt: auf die militärische Stärke und die Erfolge etwa in der Raumfahrt.

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