Rainer Brüderle: „Der Euro ist eine Erfolgsgeschichte“

Düsseldorf. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle glaubt an die Zukunft der Währung und lehnt eine Rückkehr zur D-Mark ab. Außerdem übt der FDP-Politiker im Interview mit der WZ scharfe Kritik an Wikileaks.

Westdeutsche Zeitung: Sie haben die Vorgehensweise von Wikileaks mit jener des DDR-Staatssicherheitsdienstes verglichen. Bleiben Sie dabei?

Rainer Brüderle: Wikileaks bewegt sich im Spannungsverhältnis von Transparenz und Datenschutz. Die Sammelwut von Wikileaks macht mir Sorgen.

WZ: Halten Sie es für vertretbar, wenn Unternehmen wie Amazon oder Mastercard die Geschäftsverbindungen zu Wikileaks abgebrochen haben?

Brüderle: Das ist eine Entscheidung, die jedes Unternehmen selbst treffen muss. Aber das Vorgehen von Wikileaks ist durchaus ungewöhnlich.

WZ: Wie liberal sollte der IT-Markt organisiert werden?

Brüderle: So liberal und wettbewerblich, aber auch so rechtstaatlich wie andere Märkte. Der IT-Markt hätte sich ohne Offenheit nicht so rasant und umfassend entwickeln können. Das heißt aber nicht, dass man alles, was technisch möglich ist, machen sollte. Es muss Grenzen geben. Persönliche Daten, Betriebsgeheimnisse, Sicherheit und Urheberrechte müssen ausreichend geschützt werden. Außerdem muss der Kampf gegen Kriminalität auch im Internet geführt werden, z. B. gegen Kinderpornografie.

WZ: Hat die FDP-Spitze die Dimension der Wikileaks-Enthüllung unterschätzt?

Brüderle: Nein.

WZ: Würden Sie sich nochmals ohne Prüfung so vorbehaltlos vor einen Mitarbeiter stellen?

Brüderle: Die Partei hat schließlich die nötigen Konsequenzen gezogen. Die vorangegangenen Gremienbesprechungen waren intern. Mehr ist zu dem Thema nicht zu sagen.

WZ: Hat die Finanz- und Wirtschaftskrise, die dem Staat eine zentrale Bedeutung zugewiesen hat, der FDP geschadet?

Brüderle: Viele Entwicklungen in der Krise haben eindrucksvoll gezeigt, dass wir mit unserer Politik den richtigen Kurs verfolgen. Wir haben immer gewarnt, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer und Banker ist. Schauen Sie sich zum Beispiel den Bankensektor an, der ein Paradebeispiel dafür ist. Da gab es das Abenteuer der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau mit der IKB. Auch bei den deutschen Landesbanken wurden Milliarden an öffentlichen Mitteln verbrannt. Die massive staatliche Rolle dort war der ordnungspolitische Sündenfall.

WZ: Erreicht den Bürger eine solche differenzierende Botschaft? Der Eindruck dominiert, dass der Staat sich verschuldet, um den Banken zu helfen.

Brüderle: In der Krise war es notwendig, dass der Staat schnell handelt. Ansonsten hätten das Bankensystem und die Wirtschaft zusammenbrechen können. Das hätte verheerende Folgen gehabt. Vergleichen Sie es mit einem Brand: Wenn er ausbricht, nimmt man den Feuerlöscher und ruft die Feuerwehr. Wenn er gelöscht ist, verbessert man den Brandschutz. In dieser zweiten Phase sind wir jetzt. Wir führen die staatlichen Hilfsprogramme konsequent zurück und der Staat konzentriert sich wieder auf seine Kernaufgaben. Das sehen auch die Bürger.

WZ: Die Bankenaufsicht soll bei der Bundesbank gebündelt werden. Aus der Union gibt es widersprüchliche Signale. Scheitert die Reform?

Brüderle: Es gibt noch Fragen zur Unabhängigkeit der Bundesbank, die geklärt werden müssen. Wir haben die Reform im Koalitionsvertrag vereinbart und sie wird auch kommen.

WZ: Können Sie erklären, warum eine Erhöhung der Arbeitnehmerpauschale um 80 Euro eine Steuervereinfachung ist?

Brüderle: Ganz einfach: Weil es sich um einen Pauschalbetrag handelt, bekommen Sie mehr Geld vom Staat zurück, ohne Belege vorlegen zu müssen. Das ist aber nur eine von insgesamt 41 Maßnahmen zur Steuervereinfachung und Entlastung, die wir für die Bürger beschlossen haben.

WZ: Die Belege muss ich aber trotzdem sammeln, um zu sehen, ob ich nicht über die neue 1000-Euro-Obergrenze komme. Andere Frage: Was ist der Vorteil einer Steuererklärung, die nur alle zwei Jahre abgegeben wird?

Brüderle: Weniger Arbeit. Rechnet jemand mit Rückzahlungen, kann er die Steuerklärung natürlich weiterhin jährlich abgeben.

WZ: Wie sehr müssen sich die Deutschen um den Euro sorgen?

Brüderle: Wenn wir das vorhandene Instrumentarium zur Bewältigung der Euro-Krise richtig anwenden, müssen wir uns keine Sorgen machen. Der Euro ist eine Erfolgsgeschichte. Zu Recht genießt er nach wie vor großes Vertrauen auf den internationalen Kapitalmärkten. Vorhin las ich: "Euro eingebrochen." Bei einem Wert von 1,32 US-Dollar! Viele scheinen zu vergessen: Der Euro ist mal mit 1,18 US-Dollar gestartet und auch schon unter einem Dollar gewesen.

WZ: Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Wie wird die Euro-Zone in fünf Jahren aussehen?

Brüderle: Ich gehe davon aus, dass der Währungsraum dann weiter gefestigt ist. Natürlich gibt es eine deutliche Konkurrenz zum Dollar, was aber positiv ist. Eine stabile Währung ist immer auch ein Grund dafür, dass andere Länder sie als Reserve halten und Rechnungen in ihr ausstellen.

WZ: Was ist falsch an dem Vorschlag, zwei Währungszonen in Europa zu bilden - eine Nord- und eine Süd-Euro-Zone?

Brüderle: Das ist eine Idee, die überhaupt nicht praktikabel ist. Es gibt Schwachstellen in der Euro-Zone, die man beseitigen muss. Zum Beispiel, indem man sich in Zukunft die einzelnen Volkswirtschaften genauer anschaut. Und zwar nicht erst, wenn etwas schief gelaufen ist.

WZ: Können Sie sich vorstellen, die D-Mark wieder einzuführen?

Brüderle: Nein. Das wäre völlig unsinnig. Deutschland profitiert vom Euro, wir exportieren über 40 Prozent unserer Waren in die Euro-Zone, mehr als 60 Prozent in die Europäische Gemeinschaft. Mit dem Euro ist Preisstabilität im gesamten Eurogebiet verbunden, auch in Deutschland. Sie dürfen auch die weltweiten Veränderungen nicht übersehen. Etwa 50 Prozent des Weltwirtschaftswachstums gehen inzwischen auf das Konto von Indien und China. Im Wettbewerb mit diesen Regionen müssen wir uns behaupten. Eine Rückkehr zur kleinstaatlichen Orientierung wäre nicht die richtige Antwort.

WZ: Was haben Sie gegen Euro-Bonds?

Brüderle: In einer Marktwirtschaft kann das kein vernünftiger Ansatz sein. Länder, die sich hoch verschulden und eine wenig tragfähige Wirtschaftspolitik betreiben, zahlen bei Eurobonds dann genau dieselben Zinsen wie die wirtschaftlich stärkeren Mitglieder des Eurogebiets. Aber alle haften gleichermaßen. Bei Euro-Bonds würde es keine Rolle spielen, ob ein Land vernünftig wirtschaftet oder eine schludrige Haushaltspolitik mit hohen Schulden macht. Das schafft Fehlanreize.

WZ: Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Ministerpräsident, und Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt haben die Bundesregierung scharf kritisiert für ihre Haltung in der Euro-Krise. Können Sie sie verstehen?

Brüderle: Beide sind überzeugte Europäer. Sie haben Sorge, dass Europa an Integrationskraft verlieren könnte. Diese Sorge teile ich. Nur mein Rezept ist ein anderes. Wirkliche Integration funktioniert nur, wenn alle Mitgliedstaaten ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Strukturelle Schwächen und fehlende Konkurrenzfähigkeit durch Transfers auszugleichen, wäre der komplett falsche Weg. Nehmen Sie zum Beispiel Griechenland: Die griechische Volkswirtschaft konnte nicht annähernd das erwirtschaften, was das Land ausgegeben hat. Nun fährt die Regierung in Athen einen sehr mutigen Kurs, senkt die Gehälter, erhöht Steuern. Es ist ein tolles Ergebnis, dass Ministerpräsident Papandreou trotzdem die Kommunalwahlen gewonnen hat. Das zeigt: Klare Politik findet Akzeptanz in der Bevölkerung.

WZ: Haben Irland und Griechenland überhaupt eine Chance, ihre hohen Schuldenstände abzubauen?

Brüderle: Es wird ein harter Weg sein, aber ich bin optimistisch, dass es gelingen wird.

WZ: Würgen sie nicht die Konjunktur mit den Sparpaketen komplett ab?

Brüderle: Die Sparpakete dieser Länder sind ein wichtiger Schritt zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung. Volkswirtschaften, die immer mehr Schulden anhäufen, sind nicht zukunftsfähig. Wenn Irland und Griechenland klaren Kurs halten, können sie sehr produktive und wettbewerbsfähige Volkswirtschaften werden.

WZ: Ein anderes Thema: die Energiepolitik. Wird das Bundesverfassungsgericht die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke passieren lassen?

Brüderle: Ich bin davon überzeugt. Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium haben die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nach eingehender Prüfung bejaht. Auch der Bundespräsident hat das getan, bevor er seine Unterschrift darunter setzte.

WZ: Was hat der einzelne Bürger von der Laufzeitverlängerung?

Brüderle: In der Tendenz werden die Strompreise gedämpft. Davon profitiert der Bürger, aber auch die vielen mittelständischen Unternehmen und unsere Industrie. Der Strompreis ist ein Standortfaktor. Wir setzen mit der Abschöpfung von Gewinnen aus der Laufzeitverlängerung außerdem Ressourcen frei, um schneller in das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu kommen.

WZ: Was halten Sie vom Argument, die Laufzeitverlängerung zementiere die Marktmacht der vier großen Energieversorger?

Brüderle: Ich halte es für falsch, weil die Gewinnabschöpfung und die Kernbrennstoffsteuer diese vier Energieversorger deutlich belasten. Außerdem profitieren die Versorger, die in Erneuerbare Energien investiert haben, weiterhin vom garantierten Vorrang bei deren Einspeisung.

WZ: Wie viel Optimismus muss ein Wirtschaftsminister haben?

Brüderle: Ein großer Optimismus ist nicht nur für den Wirtschaftsminister wichtig. Menschen, die sich nichts zutrauen, können nicht erfolgreich sein. Die Deutschen haben in der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern kräftig angepackt. Diesen fleißigen Menschen ist es in erster Linie zu verdanken, dass Deutschland eines der erfolgreichsten Länder der Welt ist. Deshalb hat der erste Handelsvertreter Deutschlands als Türöffner im Ausland besonders viel Grund zu Optimismus.

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