31. Oktober 1989: Das Westberliner Rathaus plant für den Tag X

Berlin. Wir arbeiten auf Hochtouren, aber nicht hektisch. Noch haben wir ja Zeit, denken wir. Bis Anfang Dezember soll das neue Reisegesetz kommen, hat SED-Bezirkssekretär Schabowski gesagt.

Menschenmengen stürmen am 11. November 1989 den Kurfürstendamm in Berlin - ein Anblick, den man sich im Westberliner Rathaus nur wenige Wochen vorher nicht erträumen konnte. Damals überlegte man, für künftige "DDR-Touristen" den Kurfürstendamm für ein großes Volksfest zu sperren. (Archivfoto)

Menschenmengen stürmen am 11. November 1989 den Kurfürstendamm in Berlin - ein Anblick, den man sich im Westberliner Rathaus nur wenige Wochen vorher nicht erträumen konnte. Damals überlegte man, für künftige "DDR-Touristen" den Kurfürstendamm für ein großes Volksfest zu sperren. (Archivfoto)

Foto: dpa

Außerdem gehen wir davon aus, dass es ein geregeltes Reiseverfahren geben wird. Kein wildes Stürmen der Mauer, wie es dann wenig später stattfindet.

Im Rathaus machen wir in verschiedenen Gruppen Gedankenspiele, was alles passieren kann. Der „worst case“, der schlimmste Fall, ist unser Szenario, nicht die glückliche Nacht, die es dann wurde. Flüchtlinge, Staus, Kranke, Vermisste. Darauf wollen wir vorbereitet sein.

Der Berliner Korrespondent der WZ, Werner Kolhoff, war 1989 Sprecher des (West-)Berliner Senats und Vertrauter des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper (SPD).

Der Berliner Korrespondent der WZ, Werner Kolhoff, war 1989 Sprecher des (West-)Berliner Senats und Vertrauter des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper (SPD).

Am Morgen ist im Senat förmlich die Einsetzung der Arbeitsgruppe beschlossen worden, die alles planen soll. Mittwoch wird sie zum ersten Mal tagen. Mein Job ist die Information der Berliner. Zusammen mit einigen Mitarbeitern erstelle ich ein Konzept. Darin steht zum Beispiel, dass alle Haushalte 14 Tage vorher vom Regierenden Bürgermeister Walter Momper einen Brief erhalten sollen, um eine positive Einstellung bei ihnen zu wecken.

Auch sehen wir „Abende der Begegnung“ vor und wollen den Kurfürstendamm für ein großes Volksfest sperren. All das, so wird sich später zeigen, ist überflüssig. Die West-Berliner werden am 9. November auch ohne mentale Vorbereitung viel freundlicher als erwartet auf die DDR-Bürger reagieren. Und Feste wird es an jeder Ecke spontan geben.

West-Berlin ist auf DDR-Karten ein weißer Fleck. Kein Ost-Bürger weiß, wo er im Zweifelsfall ein Krankenhaus findet oder wie er in die City kommt. West-Stadtpläne sind drüben verboten. Wir planen ein Informationsblatt, das in großer Auflage gedruckt und an den Grenzen ausgelegt werden soll. Mit Stadtplan, Notfalladressen, Anschriften von Museen und Einkaufszentren und vielem anderen mehr.

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