Wenn der Tod zum Arbeitsalltag gehört

Berlin (dpa/tmn) - Der Tod ist etwa im Krankenhaus Arbeitsalltag. Für die Mitarbeiter ist das nicht leicht. Täglich erleben sie die Ängste der Sterbenden und das Leid der Angehörigen. Mancher zweifelt dabei an den eigenen Möglichkeiten - und findet Trost bei Kollegen.

Die Toten beanspruchen auch einen Platz in ihrem Büro. Sie sind da, als schwarzer, faustgroßer Stein, der auf dem Bücherregal liegt. Als Karte, die an der Leiste hinter dem Schreibtisch klemmt. Als farbiger Anhänger am Büroschlüssel. Es sind Geschenke verstorbener Patienten. „Wenn ich mal tot bin, denken Sie an mich.“ Den Satz hört Maike de Wit oft, wenn ihr die Geschenke gegeben werden.

Die 52-Jährige ist Chefärztin auf der Krebsstation im Vivantes Klinikum in Berlin-Neukölln. In ihrem Arbeitsalltag ist der Tod ein ständiger Begleiter. „Es ist nicht so, dass jeden Tag jemand stirbt. Aber jeden Tag erkläre ich jemandem, dass er Krebs hat, der nicht heilbar ist“, sagt sie.

De Wit sitzt in ihrem Büro in der Klinik an einem kleinen runden Tisch. Sie hat braune, kurze Haare, rot geschminkte Lippen und tiefe Schatten unter den Augen. Sie spricht leise und konzentriert. „Man erlebt wunderschöne Sachen mit den Patienten“, sagt sie. „Aber auch nach den ganzen Berufsjahren wird der Umgang mit dem Tod nicht leichter.“ Seit 22 Jahren arbeitet sie nun in der Onkologie.

Viele Menschen treffen auf den Tod erst dann, wenn ein Angehöriger oder Freund stirbt, oder sie selbst erkranken. Oft bricht dann eine ganze Welt zusammen. Doch manche Arbeitnehmer begegnen ihm täglich. Sie müssen die Ängste der Sterbenden und die Trauer der Angehörigen aushalten - und dabei funktionieren.

Das ist für viele nicht leicht. Die Gefahr, an einem Burnout zu erkranken, ist bei Personen, die beruflich viel mit dem Tod zu tun haben, höher als bei anderen Arbeitnehmern, sagt Jürgen Glaser, Prof. für angewandte Psychologie an der Universität Innsbruck. Der Grund: Diese Menschen haben deutlich mehr psychischen Stress als andere Berufstätige.

Die bei der Arbeit aufkommenden Gefühle müssten dauernd unterdrückt werden. Nur so könnten die Berufstätigen funktionieren. „Wenn jemand in der Altenpflege einen Patienten lange gepflegt hat, empfindet der bei dessen Tod oft eine große Trauer“, erklärt Glaser. Vielleicht habe er auch Mitleid mit den Angehörigen.

Doch für lange Gespräche oder Momente des Innehaltens ist im Berufsalltag meist keine Zeit. „Viele haben Schuldgefühle“, hat Glaser beobachtet. Andere fühlen sich auch als gescheitert, weil sie den Tod nicht verhindern konnten. Die Folge: Viele Arbeitnehmer werden krank.

Doch einige wachsen auch daran. So wie de Wit. „Natürlich gibt es immer wieder Momente, in denen man sich fragt: Was mach' ich hier überhaupt?“, erzählt sie. De Wit hilft in Belastungssituationen vor allem das Gespräch mit Kollegen. „Die kennen die Situation oft besser als daheim die Familie.“ Und sie versucht, Trost in den schönen Momenten zu finden. Außerdem hat sie eine feste Regel: „Wenn man im Krankenhaus ist, versuche ich ganz da zu sein. Und sobald ich das Krankenhaus verlasse, habe ich frei. Dann versuche ich, die Toten nicht mit mir herumzutragen.“

Bis ihr das gelang, hat es aber lange gedauert. Heute beendet sie jeden Arbeitstag mit einem festen Ritual. Wenn sie am Abend über den Klinikflur zum Ausgang läuft, arbeitet sie im Kopf eine innere Checkliste ab. An jeder Zimmertür geht sie noch einmal die dahinter liegenden Patienten durch. Dann verlässt sie das Gebäude, und es ist vorbei.

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