Der Teufelskreis des Analphabetismus‘

Rund 1,5 Millionen junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren können nur begrenzt lesen und schreiben.

Der Teufelskreis des Analphabetismus‘
Foto: Andrea Warnecke

Hamburg. Laut der Level-One Studie (leo) der Universität Hamburg von 2011 haben etwa 1,5 Millionen 18- bis 29-Jährige mangelnde Lese- und Schreibkenntnisse. Sie gelten als funktionale An- alphabeten, weil sie zwar wie ein Erst- oder Zweitklässler einzelne Wörter und Sätze lesen und schreiben können. Bei längeren zusammenhängenden Texten verstehen sie den Inhalt aber nicht, erklärt Jan-Peter Kalisch, Leiter des Projekts iChance vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung in Münster.

Die Probleme können mehrere Ursachen haben: ein wenig unterstützendes Elternhaus, zu wenig Förderung in der Schule, eine geringe Lernmotivation und individuelle Probleme wie Krankheit oder schlechtes Sehvermögen, so Prof. Anke Grotlüschen von der Universität Hamburg. Sie ist für die Level-One Studie verantwortlich.

Viele der Jugendlichen, die Probleme beim Lesen und Schreiben haben, verbergen sie aus Angst vor Vorurteilen und Diskriminierung, sagt Ellen Abraham. Sie ist kommissarische Geschäftsführerin beim Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung. Um nicht aufzufallen, entwickelten Betroffene verschiedene Kompensationsstrategien, hätten vor allem eine hohe Organisationsfähigkeit und könnten gut auswendig lernen, sagt Kalisch.

Um den Teufelskreis aus Angst und Scham zu durchbrechen, brauche es oft einen hohen Leidensdruck. Damit es gar nicht erst soweit kommt, können Jugendlichen diese Tipps helfen:

Den ersten Schritt schafft der Betroffene meist nicht allein. Kalisch rät, sich einen Motivator zu suchen, der Mut macht. Das Problem spricht der Betroffene am besten in einer konkreten Situation an, etwa wegen Schwierigkeiten beim Bewerbungsschreiben.

Betroffene können sich etwa über das Alfa-Telefon des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung unter der kostenlosen Telefonnummer 0800/53334455 informieren und beraten lassen. Sie vermitteln auch Lernkurse in Wohnortnähe.

Grundbildungskurse bieten zum Beispiel Volkshochschulen an. In kleinen Gruppen lernen Betroffene dabei anhand von alltagsnahen Themen.

Anonym und zu Hause können Jugendliche über Lernportale wie ich-will-lernen.de oder ich-will-deutsch-lernen.de das Lesen und Schreiben üben.

Für Jugendliche bis 16 Jahre gibt es ehrenamtliche Leselernhelfer, die zum Beispiel der Verein Mentor vermittelt. Auch ein geduldiger Freund oder ein Schüler aus einer höheren Klasse können Lesepartner werden.

Je früher sich ein betroffener Jugendlicher dem Problem stellt, desto schneller zeigen sich erste Fortschritte. Eines ist sicher: „Es ist nicht in einem halben Jahr getan“, sagt Kalisch. Betroffene sollten sich realistische Ziele setzen, etwa nach ein paar Monaten den Einkaufszettel oder eine Bewerbung fehlerfrei schreiben zu können.

Der Weg ist mühsam, lohnt sich aber. Lesen und Schreiben werden für viele immer eine Herausforderung sein.

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