„Du bist wie deine Mutter“

Junge Eltern beglückt der Spruch „Ganz die Mama“. Mit zunehmendem Alter ist das zuweilen beleidigend gemeint.

Hamburg. Bei einem Streit ist es manchmal das letzte Mittel, eine der schlimmsten Beschimpfungen, die man einer Frau entgegenbringen kann: „Du bist ja wie deine Mutter“. Aber warum trifft dieser Satz so viele, und warum sollte man nur schlechte Eigenschaften der Mutter annehmen und nicht die des Vaters?

„Es ist die Lebenswelt, die uns ganz unbewusst prägt“, erklärt der Psychologe Roland Raible. Da bei vielen Kindern die Mutter in den ersten Jahren immer noch präsenter sei als der Vater, nähmen viele Kinder — und vor allem Mädchen — Verhaltensweisen der Mutter an. „Das geschieht unbewusst und kommt oft erst später, wenn man älter wird, zum Tragen“, erläutert er weiter.

Sein Kollege Jörg Wesner fügt hinzu: „Wenn wir irgendwann auch äußerlich unseren Eltern immer stärker ähneln und in dem Alter sind, in dem wir sie kennengelernt haben, fallen solche Dinge auch uns selbst mehr auf.“

Denn oft sind es keine schlechten Eigenschaften, die wir von unseren Eltern übernehmen, sondern vielmehr Verhaltensmuster. „Wenn die eigene Mutter in Auseinandersetzungen mit dem Vater immer gleich beleidigt war, verhält man sich später ähnlich, weil es eben bei den eigenen Eltern funktioniert hat“, sagt Wesner.

Das erfolgt meist unbewusst, selbst wenn man dieses Verhaltensmuster bei der Mutter schrecklich findet. „Gute Verhaltensweisen, die ich mag, nehme ich an und modifiziere, optimiere sie für mich, damit werden sie zu meinen“, erklärt Paartherapeut Wesner. Schlechte Verhaltensweisen machen sich hingegen in Stresssituationen bemerkbar. Und weil man sie selbst nicht mag, will man sie nicht annehmen.

Setzt das Gegenüber den Hinweis auf die Ähnlichkeit in einem Streit ein, ist es durchaus legitim, zum Gegenangriff überzugehen. „Man kann zum Beispiel einfach fragen ,Ja, und was ist so schlimm daran?’“, sagt Raible. Viel effektiver sei es allerdings, sich nicht auf einen Streit über Bewertungen einzulassen, sondern um die Sache zu ringen, also etwa zu fragen, was und warum es den anderen stört.

Schließlich impliziert der Satz „Du bist wie deine Mutter“ den Vorwurf, dass man nicht erwachsen geworden sei, sich nicht zu einem Individuum entwickelt habe“, erläutert Raible.

Wer ganz geschickt ist, kehrt die vermeintlich schlechte Eigenschaft in eine positive um. Das schon von Aristoteles angedachte Wertequadrat besagt nämlich, dass jede negative Tugend eine positive Schwestertugend hat. Geiz wird also zur Sparsamkeit, Putzwahn zur Ordnungsliebe. „So kann man dem Ganzen auch etwas Positives abgewinnen“, sagt Wesner. Denn ein komplettes Rückgängigmachen der elterlichen Prägung gibt es nur sehr selten. „Die Eltern sind nun mal die Menschen, die uns am meisten prägen“, sagt Raible. Und das muss nicht immer schlecht sein.

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