Kinder müssen ihre Freunde selbst wählen

Mainz (dpa/tmn) - Mal haben Kinder zu viele, mal zu wenige, mal die falschen Freunde. Das meinen zumindest die Eltern. Mit der Meinung über die Freunde halten sich Erwachsene aber besser zurück. So können Kinder selbst entscheiden, wer ihnen guttut und wer nicht.

Spätestens mit der Einschulung wird manchen Eltern schmerzhaft bewusst, dass sie für das eigene Kind nicht mehr die einzige und schon gar nicht die höchste Instanz sind. Da gibt es die Lehrerin, vorher oft schon die Erzieherin im Kindergarten und vor allem die Freunde, deren Wort mehr zählt als das der Eltern. „Je älter die Kinder werden, desto mehr nimmt die Faszination für die eigenen Eltern ab“, erklärt der Vorsitzende der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung und Leiter einer Erziehungsberatungsstelle in Mainz, Ulrich Gerth. Stattdessen gewinnen andere Menschen im Leben des Kindes als Identifikationspersonen an Bedeutung - nicht immer zur Freude der Eltern.

„Natürlich finden Eltern nicht alle Freunde der Kinder toll“, sagt der Präsident des Bayerischen Lehrerverbandes Klaus Wenzel. Das müssen sie aber auch nicht. „Alles was anders ist als in der eigenen Familie, wie die Kultur, das soziale Milieu oder andere Regeln, sind für die Kinder in dieser Zeit sehr attraktiv und spannend“, sagt Wenzel. Das schade den Kindern in der Regel nicht. „Wenn in der Familie des Freundes beim Essen der Fernseher läuft, kann man dem Kind erklären, dass das in der eigenen Familie eben nicht gemacht wird.“

Vor allem aber sollten sich Eltern mit den eigenen Einschätzungen zurückhalten. „Es ist respektlos und für das Kind verletzend, wenn man ihm sagt, dass man seine Freunde nicht mag“, sagt Psychologe Gerth. Handlungsbedarf sieht er nur, wenn die Kinder gemeinsam gegen die Regeln verstoßen, also etwa nicht rechtzeitig nach Hause kommen, sich zu weit von Hause, dem Hort oder der Schule entfernen oder etwas klauen. „Dann sollte man diese Dinge ganz klar beim Namen nennen und nicht meckern, sondern dem Kind erklären, warum man das nicht gut findet“, sagt er.

Wenig Sinn mache es, Freundschaften zu unterbinden oder gar zu verbieten. „Die Kinder wollen sich ausprobieren, lernen viel durch Imitation, und da kann es eben auch mal ein Verhalten sein, das man selbst vielleicht nicht so schätzt“, sagt Wenzel. Oft hielten diese Freundschaften im Grundschulalter auch gar nicht so lange. Gelassenheit sei daher das Gebot der Stunde.

Das gilt auch, wenn Eltern meinen, dass das eigene Kind nicht genug Freunde hat, ein Einzelgänger oder sogar Außenseiter ist. „Zunächst einmal ist es schwierig, das genau zu definieren“, sagt der Kinder- und Jugendpsychologe Holger Simonszent aus Gauting bei München. Ein Kind könne zum Einzelgänger werden, weil es ein Außenseiter ist. „Es gibt aber auch Kinder, die einfach gerne alleine sind und nur wenige Freunde haben. Das bedeutet nicht automatisch, dass sie unbeliebt sind“, sagt er.

Da sei es ratsam, erstmal zu schauen, ob diese leichte Zurückgezogenheit vom Kind selbst kommt, in seinem Wesen begründet liegt, oder ob es möglicherweise an mangelnden Fähigkeiten liegt. „Manche Kinder stehen sich ja selbst im Weg und wissen nicht so genau, wie sie auf andere zugehen sollen“, erklärt Erziehungsberater Gerth. Mit diesen Kindern könne man üben, auf andere zuzugehen.

Aufschlussreich sei es für Eltern auch, das Kind in der Gruppe zu beobachten und es selbst zu befragen. „Kinder sind grausam, aber auch sehr flexibel“, sagt der Pädagoge Wenzel. Oftmals mache es dem Kind selbst viel weniger aus, mal nicht zu einem Geburtstag eingeladen zu sein, dafür den Eltern umso mehr.

Und genau darin liegt der Knackpunkt. „Eltern sollten aufpassen, dass sie nicht ihre eigenen Bedürfnisse thematisieren“, warnt Simonszent. Diplom-Psychologe Gerth formuliert es noch etwas drastischer: „Es tut eben dem Elternimage nicht gut, wenn das eigene Kind nicht der Liebling aller ist.“ Dennoch könne man Kindern selbstverständlich Angebote machen, etwa Verabredungen mit anderen Kindern anstoßen oder Schulkameraden einladen. Auch Sportvereine oder eine Theatergruppe könnten da ein Weg sein, sagt Simonszent. „Und manchmal hilft es auch, das Kind einfach mal vor die Tür zu schicken, anstatt es allein in seinem Zimmer vor sich hinpuzzeln oder fernsehen zu lassen“, rät Wenzel.

Entscheidend sei, ob das Kind leide. Erst dann sollten Eltern eingreifen. Ansonsten gilt wie bei vielen Erziehungsfragen: Kühlen Kopf bewahren und gelassen bleiben. Denn fest steht: „Wenn Kinder an etwas Interesse haben, dann entwickeln sie ganz von selbst viele Ideen, also auch, um Kontakt zu anderen zu bekommen“, sagt Klaus Wenzel.

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