Mit Zapfhahn oder Raumschiff - Gräber erzählen vom Leben

Passau (dpa/tmn) - Es mag manche entrüsten. Viele aber werden schmunzeln: „Nur tiefer gelegt“ steht auf einem Grabstein. Oder der Stein hat einen Zapfhahn, weil der Verstorbene gerne in der Kneipe saß.

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Gräber werden inzwischen oft sehr persönlich gestaltet.

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Ein Name, manchmal eine Berufsbezeichnung, das Geburtsdatum und der Tag, an dem alles endete: Nur ein paar Informationen am Grabstein bleiben oft von einem Menschenleben übrig. Das sagt aber nichts über denjenigen aus, der dort begraben liegt. Doch das Standardprogramm reicht vielen Angehörigen deshalb nicht mehr - sie wollen ein ganz persönliches Denkmal setzen, das dem Verstorbenen gefallen hätte.

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Sie lassen Grabsteine mit eingraviertem Laptop für den Computernerd gestalten, sie legen Skateboards oder Musikinstrumente darauf ab, lassen die Umrisse eines Raumschiffs für Star-Trek-Fans einfräsen. „Ein Grabstein hat die Form eines Handys, an einem anderen ist ein echter Tankdeckel angebracht, aus dem Grabstein eines Gastwirtes ragt ein authentischer Zapfhahn heraus“, berichtet der Buchautor Matthias Meitzler von seinen Recherchen auf Friedhöfen. Das Beste aber sind die Sprüche. Da steht etwa „Nur tiefer gelegt“, „Nun gönnt mir meine Ruhe, Jupp“ oder einfach „Alles scheiße“ auf dem Stein.

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„Sie überraschen uns und machen sprachlos, weil sie auf besonders ergreifende, skurrile, drastische, provokante, kreative, irritierende, erschreckende wie humorvolle Weise vom Standard abweichen“, beschreiben die Soziologen Thorsten Benkel von der Universität Passau und Matthias Meitzler von der Universität Frankfurt am Main ihre Funde nach Besuchen von 700 Friedhöfen für ihren Bildband „Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe“.

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„Sie mögen auf dem Friedhof zunächst recht eigensinnig wirken und für manche ein gewöhnungsbedürftiger Anblick ein“, sagt Benkel. „Dennoch machen sie auf beeindruckende Art und Weise deutlich, wie vielfältig Menschen heutzutage trauern. Auch Humor, Sarkasmus und Ironie können Formen von Trauer sein, die mittlerweile ihren Platz auf dem Friedhof gefunden haben.“ Vor allem aber geht es um eines: Um den Verstorbenen.

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Das sieht Friedhofsgärtner Heiko Euler ähnlich. „Ich frage erst einmal: Was war er für ein Mensch, was hat er geliebt, was hat er gearbeitet, welche Hobbys hatte er?“ Dann kreiert der Gärtner ganze Szenen auf der Grabfläche, etwa für passionierte Bergsteiger einen Steingarten mit Bergkiefern.

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Grund für diesen Wandel der Grabgestaltung liegt in einem Wertewandel, urteilen die Soziologen Benkel und Meitzler. Kollektive Maßstäbe, an denen man früher sein Leben ausrichtete und die den Lebenslauf damit auch mehr oder weniger absehbar machten, verlieren an Bedeutung. Heute gilt: „Man muss sich durchbeißen oder man verliert“, sagt Meitzler. Wichtiger als gemeinsame Glaubenssätze sei die individuelle Lebensleistung. Zugleich kehren immer mehr Menschen den Religionen den Rücken, Kreuze oder Symbole für ewiges Leben kommen daher auch nicht auf ihre Gräber.

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Ganz neu ist diese Entwicklung zu individuellen Gräbern aber nicht, sagen die Buchautoren. Fotos der Verstorbenen, Tierbilder, Symbole für den Lieblingssport kommen schon seit einiger Zeit vor. Heute werden aber auch QR-Codes auf den Gräbern angebracht. Wer diese mit seinem Handy scannt, findet Infos zu dem Verstorbenen im Internet.

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Zugleich komme es zu einer Mystifizierung, wie es die Soziologen nennen. Es werden Anspielungen nur für Eingeweihte hinterlassen. Gefunden haben die beiden etwa Sprüche wie „Lasst uns die nächste Revolution im August beginnen“. Fremde finden das nichtssagend. Für die Vertrauten können solche Aussagen auf dem Grabstein aber Trost sein. Zugleich wird damit nicht zu viel Persönliches verraten.

Aber auch wer auf Sprüche und Symbole aus dem Privatleben verzichten will, legt oft Wert auf eine besondere Grabgestaltung, sagt Euler. So werden häufig aufwändige Pflanzenmuster gestaltet, zum Beispiel indem die Form des Steins auf die Grabfläche gespiegelt wird. Euler hat in einem Fall die Windungen einer Schnecke auf dem Stein mit Pflanzen verlängert. Roland Wagner, Mitglied im Bund deutscher Friedhofsgärtner, lässt Bodendecker in schmalen Bändern über das Grab laufen. Knotenbepflanzung nennt der Friedhofsgärtner das.

„All diese Entwicklungen gemeinsam machen den Friedhof ein Stück attraktiver“, erklärt Roland Wagner. „Sie geben dem Ort den Stellenwert, den er verdient hat.“ Schließlich wird hier um die liebsten Menschen getrauert.

Literatur:

Thorsten Benkel und Matthias Meitzler: Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe, KIWI Verlag, 2014, 234 Seiten, 8,99 Euro, ISBN-13: 978-3462046083

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