Das Risiko Vollnarkose

Besonders tragisch sind Todesfälle bei Kindern nach einer Zahnbehandlung.

Düsseldorf. „Es sollte nur ein Zahnarztbesuch werden, jetzt liegt mein Leben und das meiner Familie in Scherben.“ Die Aussagen einer Mutter vor Gericht sind erschütternd. Ihre Tochter Celine wurde nur zehn Jahre alt. Sie starb sieben Tage nach einer Vollnarkose in einer Zahnarztpraxis in Limburg. Zwei Milchzähne sollten gezogen und zwei von Karies befallene Zähne behandelt werden.

Nun fühle sie sich wie eine Verräterin an ihrem eigenen Kind, schrieb die 52-Jährige in ihr Tagebuch, weil sie ihre Tochter am Ende nicht genug beschützen konnte.

Entgegen allen Regeln wurde die Mutter nach der Operation mit ihrem noch schlafenden Kind im Aufwachraum allein gelassen — ein Atemstillstand deshalb zu spät bemerkt. „Hilfe, mein Kind stirbt!“, rief die Mutter und rannte durch die Praxis, um die Ärzte zu holen, die bereits mit der nächsten Vollnarkose beschäftigt waren. Der Fall liegt fünf Jahre zurück, doch das Gerichtsverfahren war richtungsweisend und endete erst in diesem Jahr.

Auch wenn die erstinstanzliche Verurteilung aufgehoben und das Verfahren gegen Geldauflagen eingestellt wurde — es blieb dabei: Nicht nur der Anästhesist musste sich rechtfertigen, sondern auch der Zahnarzt. Denn er ist als Praxisinhaber verantwortlich für die Personal- und Geräteausstattung. Und wie in vielen anderen Fällen gab es kein Fachpersonal für Narkosen und keine Überwachungsapparate im Aufwachraum.

Celine ist nicht das einzige Kind, das bei einer Vollnarkose in einer Zahnarztpraxis starb. Die genaue Zahl ist unklar, Experten gehen von mindestens zehn Fällen in den letzten zehn Jahren aus. Die drei Jahre alte Sina starb in Baden-Württemberg, die dreijährige Jeannette starb in Kamp-Lintfort, in Sachsen-Anhalt starb der zwei Jahre alte Hannes. Meist durch Gerichtsverfahren wurden Todesfälle oder schwere Komplikationen aus HNO-Praxen, bei Schönheits-OPs oder bei Gynäkologen bekannt.

Ein plastischer Chirurg in Berlin hatte bei einer mehrstündigen OP sogar ganz auf einen Anästhesisten verzichtet. In manchen Fällen sagten die Richter ganz deutlich, dass das Opfer noch leben könnte, wenn die medizinischen Standards eingehalten worden wären.

Und weil diese Standards für eine sichere Narkose seit Jahren bekannt sind, spricht der ehemalige Anästhesie-Chefarzt und jetzige Gutachter Professor Uwe Schulte-Sasse von einer „bewussten Patientengefährdung“: „Wenn die Standards unterschritten werden, kann es gutgehen, aber es kann auch vorhersehbar zur Katastrophe führen.“

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