Neue Therapie für Jugendliche: Peperoni statt „Ritzen“

Heidelberg (dpa) - Wenn Jugendliche sich selbst verletzen, stehen Eltern oft ratlos da - mit einer Studie will ein Team der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Heidelberg bundesweit einmalig eine frühzeitige Therapie erarbeiten.

„Wir möchten herausfinden, ob die neue Therapie den betroffenen Schülern entscheidend besser hilft als herkömmliche Verfahren“, erklärte Studienleiter Michael Kaess in einer Mitteilung vom Freitag. Es gehe darum, den Selbstverletzungsdruck durch alternative Handlungen oder starke Sinnesreize zu vermindern und Gefühle zu regulieren. Gleichzeitig soll das Wohlbefinden und Selbstwertgefühl der Jugendlichen gestärkt werden. „In akuten Stresssituationen kann es zum Beispiel helfen, eine SMS an die beste Freundin zu senden, Musik zu hören, bestimmte Düfte zu riechen oder auf eine scharfe Peperoni zu beißen, die sie mit sich tragen“, so die Experten.

Die Ärzte und Psychologen wollen in den nächsten zwei Jahren etwa 70 Schüler zwischen 12 und 17 Jahren aus Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis befragen und Hilfe bieten. Vorgesehen ist eine verhaltenstherapeutische Kurzzeittherapie mit Einzelsitzungen. Jugendliche sollen Strategien erlernen, die sie sofort anwenden können. Ein Manual, das die Jugendlichen gemeinsam mit dem Therapeuten erarbeiten, soll dann auch zu Hause weiterhelfen. Vor allem Mädchen verletzen sich auf diese Art.

Herkömmliche Behandlungsmethoden orientieren sich nach Angaben von Studienkoordinatorin Gloria Fischer oft an der Behandlung Depressiver oder der Borderline-Störung, für die Impulsivität und Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen typisch sind. „Dabei handelt es sich oft um Jugendliche, die im Alltag ganz normal "funktionieren"“, weiß Fischer.

Dass viele Schüler riskante Verhaltensweisen haben, zeigte vor zwei Jahren eine repräsentative Untersuchung der Klinik. Unter mehr als 1400 Schülern aus dem Rhein-Neckar-Kreis im Alter von 14 bis 16 Jahren gab ein Drittel aller Mädchen an, sich schon einmal absichtlich eine Schnittverletzung zugefügt zu haben; rund 18 Prozent der Schülerinnen und 8 Prozent der Schüler tun dies häufiger. „Wir waren schockiert, wie viele dies tun“, sagte Fischer.

Rund ein Drittel der Mädchen berichtete von Depressivität, 15 Prozent hatten schon Selbstmordabsichten, 8 Prozent hatten demnach bereits versucht, sich umzubringen. Jungen lagen dagegen bei Drogen und Alkohol vorn.

Am Ende der aktuellen Studie soll ein standardisiertes Manual stehen. Die Dietmar-Hopp-Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt mit 40 000 Euro.

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