Telefonseelsorge: Anrufe gegen die Einsamkeit

Ehrenamtliche hören sich die Probleme fremder Menschen an. Oft brauchen sie selbst danach ein Gespräch.

Düsseldorf. Die Räume sind lichtdurchflutet, die Schreibtische stehen vor großen Fenstern. Orangefarbene Stühle im Besprechungsraum, Bücherregale und nebenan in der kleinen Küche Süßigkeiten auf dem Tisch. „Nervennahrung“, sagt Rüdiger Kerls-Kreß lachend. In den Räumen der Telefonseelsorge in Düsseldorf herrscht gute Laune.

Trotz, oder gerade wegen des Jobs. Der ist hart und wird fast ausschließlich von ehrenamtlichen Mitarbeitern erledigt. 120 Leute stehen zur Verfügung, um Menschen zuzuhören. Am Telefon, per E-Mail und im Chat. 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr.

Zwei Mitarbeiterinnen erzählen, wie sie zu diesem Ehrenamt kamen. Sie wollen namentlich nicht genannt werden, Anonymität ist oberste Priorität in der Telefonseelsorge — auf beiden Seiten der Leitung.

„Das ist manchmal schwierig, wenn man lange mit einem Anrufer geredet hat und er beim nächsten Mal wieder mich sprechen will. Dann muss ich ihm sagen, dass ein Kollege am Telefon sein wird“, sagt eine 64-Jährige. Sie hat früher in der Arztpraxis ihres Mannes gearbeitet, oft Gespräche mit Patienten nach schlimmen Diagnosen geführt. „Ich habe gemerkt, dass ich gut mit Menschen reden kann“, erklärt sie.

Ähnliche Gründe haben auch ihre Kollegin dazu bewegt, sich bei der Telefonseelsorge zu engagieren: „Man führt während eines Dienstes etwa zehn bis zwölf Gespräche. Wenn nur zwei Leute am Ende sagen, dass es ihnen gut getan habe, hat es sich schon gelohnt.“

Rüdiger Kerls-Kreß hat selbst 13 Jahre in der Telefonseelsorge gearbeitet, heute schult der Kommunikationstrainer die Mitarbeiter. Zwei Jahre lang wird jeder Interessierte jede zweite Woche in zwei Kursstunden und zahlreichen Wochenendseminaren ausgebildet. Nach etwa einem Jahr nehmen die Ehrenamtlichen dann selbst den Hörer in die Hand.

Einer der wichtigsten Punkte für die Mitarbeiter: das eigene Gespräch in einer kleinen Gruppe. „Es geht ja nicht nur darum, den Anrufern zuzuhören. Vieles liegt einem hinterher schwer im Magen und muss besprochen werden.“ Wenn missbrauchte Kinder anrufen, die ihren Vater nicht anzeigen wollen, wenn Mütter mit Job und Familie so überfordert sind, dass sie an Selbstmord denken, wenn alte Menschen einsam sind und niemanden mehr zum Reden haben.

Drei Dienste hat jeder Ehrenamtliche im Monat, einer davon ist die Nachtschicht. „Mit sechs Mitarbeitern pro Tag sind wir gut aufgestellt, aber der Bedarf ist noch höher“, sagt Kerls-Kreß. Der typische Anrufer? „Den gibt es nicht“, so der Coach. „Es rufen Menschen aller Altersklassen und sozialen Schichten an.“

Den typischen Mitarbeiter scheint es aber zu geben: weiblich, mit hohem Einfühlungsvermögen und idealerweise selbst mit einem Päckchen auf der Seele beladen. „Das hilft, Verständnis für andere aufzubringen.“

Deswegen legt Kerls-Kreß schon bei den ersten Gesprächen Wert auf die weiche Seite des Mitarbeiters. Wer sich bewirbt, übt in Rollenspielen, was auf ihn zukommt.

Grundsätzlich gehe es nicht um das Vorschlagen von Lösungen, sondern darum, Anrufer zu ermutigen, ihre Lebenssituation selbst zu ändern. Das heißt, sich Auszeiten zu schaffen, Missbrauch anzuzeigen oder ärztliche Hilfe zu suchen. Außerdem können die Mitarbeiter jederzeit das Gespräch beenden, wenn es beispielsweise um eine Straftat geht. „Aber das kommt zum Glück fast nie vor“, sagt Kerls-Kreß.

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