Wenn sich Sterneköche zu Allesverwertern weiterbilden

Baiersbronn (dpa) - Bei der sogenannten Nose-to-Tail-Küche wird das ganze Tier verwertet. Einfach ist dieser Gastro-Trend keineswegs. Viel Können ist bei den Köchen nötig. Und Gäste ohne Vorurteile sind auch vonnöten.

Wenn sich Sterneköche zu Allesverwertern weiterbilden
Foto: dpa

Ein Fisch geteilt durch fünf: Hamachi, eine Gelbflossenmakrele, zerlegt in Rücken, Bauch, Bäckchen, Kiemen. Alle Fischteile werden verschieden gegart und die Gräten zum Sud verkocht. Der Mannheimer Sterne-Koch Tristan Brandt („Opus V“) hatte sich damit beim 9. Cook Tank einiges vorgenommen. Gemeinsam mit zehn anderen Spitzenköchen war er bei dieser Veranstaltung, einer Art Ideenfabrik für Top-Küche von morgen, die am Montag stattfand.

Das Motto lautete: „Nose-to-Tail“ (von der Schnauze bis zum Schwanz) oder für Vegetarier „Flower-to-Root“ (von der Blüte bis zur Wurzel). Die ganzheitliche Verwertung von Tieren und Pflanzen, wirklich alle Teile eines Produkts auf den Teller zu bringen, auch Ungewohnteres wie Kutteln, Speiseröhren oder Muschelschalen, erfordert Können.

Das Online-Portal „Sternefresser.de“ rief die Veranstaltung Cook Tank(in Anspielung auf „think tank“ (Denkfabrik)) im Jahr 2011 ins Leben. Deutschlands dienstältester Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt in Baiersbronn im Schwarzwald war nun seitdem zum zweiten Mal Gastgeber.

Wohlfahrt machte den Anfang mit einer farbenfrohen Komposition, die Kürbis komplett in verschiedenen Varianten zeigte: Kürbiseis auf quietschorangefarbener Kürbissuppe, garniert mit Kürbischips, Kürbiskompott und Kürbiskernen. Er nannte das Gericht schlicht „Kürbis“. „Die Jugend schaut auf die Veränderung, wir schauen auch darauf, Bewährtes zu bewahren - die Mischung macht es.“

Schwierigkeiten bei der ganzheitlichen Küche: „Die Zubereitung ist komplex und aufwendig und setzt viel Grundlagenwissen voraus“, sagt Tohru Nakamura, der im Münchner Lokal „Geisels Werneckhof“ einen Michelin-Stern erkocht hat. „Nicht jeder Koch hat eine entsprechende Ausbildung; in Europa war man es lange gewohnt, sich auf ein Teil eines Produktes zu konzentrieren - etwa das altbekannte Rinderfilet.“

Die Kunst des ganzheitlichen Kochens ist also in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen in der europäischen Kochkultur, wird seit einigen Jahren aber wiederentdeckt. „Schließlich haben unsere Vorfahren jahrhundertelang Speisen so zubereitet“, sagt Nakamura. Vorteile von „Nose-to-tail“ und „Flower-to-root“: „Man kann Gerichte wirtschaftlicher zubereiten - einfach, weil alles verwendet wird.“ Er servierte ein hochkompliziertes Gericht rund um die Jakobsmuschel inklusive einem Schaum mit Muschelschalen-Aroma.

Elf überwiegend deutsche Spitzenköche waren dabei, darunter acht mit jeweils einem Michelin-Stern. Ebenfalls mit von der Partie: Thomas Vilgis, Lebensmittelexperte vom Mainzer Max-Planck-Institut. „Die Machbarkeit eines Gerichtes wird bestimmt von der Zusammensetzung des Lebensmittels“, sagt er.

Er diskutiert regelmäßig mit Spitzenköchen und erklärt die molekulare oder zelluläre Zusammensetzung von Produkten. „Die Köche müssen genau wissen, was in Fisch, Fleisch oder Pflanze bei der Zubereitung vor sich geht“, sagt er. „Lebensmittel sind sehr unberechenbar.“

„Nose-to-Tail“ und „Flower-to-Root“ ist zwar ein Trend und keine Eintagsfliege. Die Zubereitung ist nach Wohlfahrts Worten aber zu aufwendig, um eine Sterneküche tagtäglich komplett daraus zu bestreiten. Nicht jeder Gast lasse sich zum Essen von Innereien „umerziehen“, gibt Nakamura außerdem zu bedenken.

Moritz Crone-Rawe, Küchenchef einer Hamburger Cateringfirma, brachte Hirsch geteilt durch sieben auf den Tisch: Herz, Leber, Niere, Zunge, Keule, Schinken, Filet. Seinen Kunden hat er jüngst ein Hirschgulasch mit Innereien serviert - „die haben das alle gerne gegessen“, sagt er. „Hätten sie vorher genau gewusst, was drin ist, hätten sie es aber vielleicht nicht bestellt.“

Lebensmittelexperte Vilgis sagt: „Was wir verlernt haben zu essen: Augen, Schweinedarm, Geflügelmagen, Entenfüße.“ Er nennt das vergessene Köstlichkeiten und gibt auch gleich ein Beispiel: Huhn. „Davon essen wir nur das Filet, verbunden mit Slogans wie „gesund, mager, cholesterinarm“. Wie langweilig!“

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