Mehr Kunstwerk als Möbel: Designer erfinden den Tisch neu

Hamburg (dpa/tmn) - Ein Tisch? Für manches Designerstück ist dieser Name geradezu eine Beleidigung. Denn einige Gestalter haben skulpturale Objekte geschaffen, auf die das Wort Möbelstück kaum noch passt - sie sind mehr Kunstwerk als Einrichtungsgegenstand.

In den letzten Jahren wurde geloungt, gelümmelt, auf der Couch abgehangen. Doch drei Strömungen rücken den Tisch plötzlich in den Fokus. Nummer eins ist das Kochen: Wenn das Essen schon viel Mühe zubereitet wird, sollen die Gäste auch an einem schönen Tisch speisen können. Nummer zwei sind innovative Materialien: Sie machen ganz neuartige Konstruktionen möglich. Und Nummer drei ist die Sammelleidenschaft von Designliebhabern, die ihr Augenmerk in der Vergangenheit auf Stühle und Liegen gerichtet haben, und nun den Tisch für sich entdeckt haben.

„Am Tisch verbringt man intensive Zeit des Nachdenkens oder versammelt Familie und Freunde zum gemeinsamen Speisen“, erläutert Birgit Gebhard vom Trendbüro Hamburg. „Damit erhält das Möbel einen symbolischen, einen sinnstiftenden Wert.“

Für Tische namhafter Designer müssen Kunden dabei einiges investieren: Sie kosten schon mal fünf- bis sechsstellige Summen. Dafür sind solche Tische oft echte Hingucker. Das gilt etwa für die Stücke aus dem Haus der Firma Established & Sons. Die Briten vereinen in ihren Entwürfen ein bisschen Kunst, eine große Dosis Design, eine Prise Mode und ziehen damit Prominente an, die solche Entwürfe lieben. Als sich das Unternehmen 2005 erstmals auf der Mailänder Möbelmesse präsentierte, wurde der Auftakt zu dem Gesprächsthema - auch dank einer Anekdote: Der fast vier Meter lange „Aqua Table“ passte nicht durch die Tür der Location.

Wie also die Präsentation trotzdem stattfinden lassen? Kurzerhand organisierte die Crew einen Kran, ließ das Metalldach aufsägen, den Tisch ins Innere der ehemaligen Sporthalle hieven und das Dach flicken. Der Tisch, oder besser die Raumskulptur, ein Entwurf der Stararchitektin Zaha Hadid, scheint aber jegliche Masse zu leugnen: Er ist elegant geschwungen und wirkt nahezu schwerelos.

Eine ähnliche Faszination löst der „Surface Table“ von Terence Woodgate und Formel-1-Ingenieur John Barnard aus, den sie ebenfalls für Established & Sons kreiert haben. Sie entwarfen in einer kühnen Kombination von aktuellster Rennwagen- und Flugzeugtechnik ein hauchdünnes Etwas aus Carbonfasern: Die Platte des Tisches hat bei einer Länge von drei Metern gerade einmal eine Stärke von zwei Millimetern. Das ist fünfmal weniger als jedes annähernd vergleichbare Objekt.

Ein weiteres Beispiel kommt aus Holland: „Wir lieben das Alte, aber wir wollen was Neues und auch scheinbar unmögliche Wege einschlagen“, sagt Jeroen Verhoeven, einer von drei Designern des Trios Demakersvan aus Rotterdam. Ein Beispiel ihrer Arbeit ist der „Cinderella Table“, ein Realität gewordenes Fantasiemöbelstück: Es ist eine Neuinterpretation alter Stücke aus dem 17. und 18. Jahrhundert, in dem sich Tisch und Kommode vermengen. Von vorne wirkt das Möbel kompakt, auf der Rückseite zeigt es sich als hohles Gebilde. Es gibt die hölzerne Version und nur sechs 200 Kilogramm schwere Stücke aus Carrara-Marmor. Einen hat Schauspieler Brad Pitt gekauft, einer steht im Londoner Victoria & Albert Museum.

Ohne digitale Zeichenprogramme und eine computergesteuerte Fräse wäre diese Tischskulptur unmöglich gewesen. „Es geht darum, etwas Einzigartiges mit einer intelligenten Maschine zu schaffen, die normalerweise für die Massenproduktion eingesetzt wird“, erklärt Verhoeven.

Um einzigartige und auserlesene Stücke geht es auch der Firma e15 in ihrer neuen Kollektion „Selected“, die sie erstmals auf der Internationalen Möbelmesse IMM Cologne in Köln im Januar vorgestellt hat. „Trunk“ ist ein circa vier Meter langer Tisch, der aus vier versetzt zusammengesetzten Nussbaum-Planken besteht. „Wir können genau zeigen, wo dieser Baum im baden-württembergischen Creglingen gestanden hat“, sagt Susanne Günther von der Firma aus Oberursel. Der Architekt Philipp Mainzer hat das Material so belassen, dass die Tischkanten den rohen, nur gebürsteten Rand des Baumstammes zeigen. Die Tischplatte liegt wie schwebend auf rohrförmigen Stahlbeinen auf.

Die Qual der Wahl überlässt die italienische Möbelmarke Minotti beim Esstisch „Claydon“ seinen Kunden: Für den Tisch von Rodolfo Dordoni mit mittigem, vierfüßigem Sockel kann für die Platte zwischen Portoro- oder Emperador-Marmor, mokkafarbener Esche oder einer MDF-Platte mit Hochglanzlackierung gewählt werden. Dadurch und durch die verschiedenen Preiskategorien dürfte der Tisch für einen größeren Kundenkreis interessant sein - schließlich kann nicht jedes Unternehmen auf die Sammler von Einzelstücken setzen.

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