Plastikepoche: Die Klassiker der Pop-Art-Ära

Birsfelden (dpa/tmn) - Design verändert sich ständig. Doch vieles von früher liegt auch heute noch im Trend. Die 60er und 70er Jahre waren eine Zeit, in der alles machbar schien und neue Ideen den Markt eroberten.

Sinnbild der Plastikepoche ist ein aufblasbarer Sessel.

Die 60er Jahre waren eine Zeit, in der alles möglich schien. Die notwendigsten Bedürfnisse der Nachkriegszeit waren gestillt, neue Ideen und Produkte weckten Konsumwünsche. Möbel aus Holz galten nun vielen als verstaubt und altbacken, Plastik avancierte zum Symbol für Modernität.

Wenn die Kreativen damals einen neuen Stuhl entwarfen, veränderten sie nicht nur irgendein Detail. Sondern sie entwickelten neue Formen. Auch die Polstermöbel sahen in der Pop-Art-Epoche anders aus, als alle Sessel bis dahin: Sie bestanden aus frei kombinierbaren Elementen, mit denen man völlig neu umgehen, flexibler und weniger steif wohnen konnte.

Der Däne Verner Panton war der Designer, der die gestalterischen Freiheiten der neuen Kunststoffe am formvollendetsten ausreizte. Sein erster Design-Hit war 1958 der wie eine Eiswaffel geformte, auf der Spitze balancierende Stuhl. Sein Panton-Stuhl war der erste Kunststoffstuhl aus einem Guss (1960-66). Einer, der an der Entwicklung des Freischwingers beteiligt war, ist Rolf Fehlbaum, Chairman Emeritus von Vitra. Es dauerte einige Jahre, bis das Möbel mit der nötigen Stabilität auf den Markt kommen konnte. „Das war eine echte Herausforderung damals“, erinnert sich Fehlbaum. Einen Jahrhundertwurf habe er in dem Stuhl nicht vermutet.

Die neuen Kunststoffe eigneten sich für die Serienproduktion — und erlangten so ungeheure Bedeutung gerade für das italienische Design. Vor allem Kartell gilt als Pionierunternehmen. In den 60er Jahren leistete die Firma in Labors die Forschung nach neuen Kunststoffen. Designgrößen wie Joe Colombo, Achille Castiglioni, Vico Magistretti oder Anna Castelli Ferrieri entwarfen auf eben dieser Grundlage Möbelserien - heute Klassiker. Dazu zählen Colombos Stapelstuhl „4867“ (1968) und die Container-Elemente „4970/84“ von Anna Castelli Ferrieri (1967).

Angeblich der erste komplette Kunststoffsitz überhaupt ist der stapelbare Kinderstuhl „K4999“ der Designer Marco Zanuso und Richard Sapper (1964). „Die Chancen waren nahezu unbeschränkt, erstens wegen der sich ständig bessernden Wirtschaftslage“, erzählt Richard Sapper. „Zweitens wegen des allgemeinen rapiden technischen Fortschritts zu dieser Zeit. Der Fortschritt gestattete uns völlig neue Formen und technische Lösungen zu entwickeln und somit neue Produkte zu erfinden und sie dem Publikum anzubieten.“

Jonathan De Pas, Donato D’Urbino und Paolo Lomazzi entwarfen in Mailand leichte und transportable Möbel, die den Aufbruch einer ganzen Generation versinnbildlichten: Eines ihrer wohl bekanntesten Objekte ist der aufblasbare Sessel „Blow“ (1967), ein weiteres das wie ein Baseballhandschuh geformte Sofa „Joe“, das seit 1970 bei Poltronova in Produktion ist. „Wir waren damals jung, lebenshungrig und wollten mit den bürgerlichen Traditionen brechen“, berichtet Designer Paolo Lomazzi. „Die große gesellschaftliche Umwälzung, die damals ablief, bedeutete einen rigorosen Bruch mit der Vergangenheit, der sich nicht nur auf die Politik, sondern auch auf die Musik, die Kleidung und natürlich das Design auswirkte.“

Sie wollten Objekte machen, die sympathisch, fröhlich und nützlich sind. In dieses Konzept passt der Sitzsack „Sacco“ von Piero Gatti, Franco Teodoro und Cesare Paolini für Zanotta (1968). Der mit Kügelchen aus Polystyrol gefüllte Sack passt sich jeder Körperform und Sitzhaltung an - ein Sinnbild des legeren Wohnstils.

Die produktive und kreative Ära der Kreationen aus Kunststoff endete in der Mitte der 70er Jahre mit dem Ölpreisschock. Er trieb nicht nur die Preise in die Höhe, sondern brachte dem Kunststoff ein
Imageproblem. Umweltbewusstsein wurde zunehmend wichtiger. Heute sind die Originale gefragte Sammlerstücke. Sie verströmen noch immer den Geist von damals - laut Sapper den „einer Zeit des Optimismus und des Glaubens an eine bessere Zukunft“.

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