Facebook-Gruppen setzen Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft

Mainz/Wiesbaden (dpa) - Verschenken statt wegwerfen, beschenkt werden statt kaufen: Das ist der Leitgedanke von „Free Your Stuff“. In Rheinland-Pfalz und Hessen haben die Plattformen auf Facebook bereits mehrere Tausend Mitglieder.

Facebook-Gruppen setzen Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft
Foto: dpa

Ein alter Röhrenfernseher war das erste überflüssige Ding, mit dem Simon Neumann bei Facebook startete. Natürlich hätte er das Gerät verschrotten oder mit Glück für fünf Euro verkaufen können, aber er hat sich für eine andere Variante entschieden: verschenken. Mittlerweile sind Tausende in dem sozialen Netzwerk seinem Beispiel gefolgt. Sie sind Mitglieder der Gruppe „Free Your Stuff Mainz“ auf Facebook, geben Dinge kostenlos an andere weiter oder bekommen etwas geschenkt.

Simon Neumann ist der Gründer der Mainzer Initiative. Mit mehr als 20 000 Mitgliedern ist sie die größte „ Free Your Stuff“-Gruppe Deutschlands. Für den 24-jährigen Politikstudenten ist es eine Herzensangelegenheit. „Ich wollte der Wegwerfgesellschaft etwas entgegensetzen“, sagt er. Die Idee dafür hat er aus Trier mitgebracht. Dort gab es schon eine „Free Your Stuff“-Gruppe. Das Konzept stamme aber von einem rumänischen Studenten, der in Luxemburg lebte und dort die erste Gruppe gründete, sagt Neumann.

Die Mainzer Gruppe hat er im Dezember 2012 ins Leben gerufen. Danach ging die Entwicklung rasend schnell: „Ich habe Facebook-Freunde eingeladen, die wiederum ihre Freunde motivierten“, erklärt er. Das Schneeballsystem funktionierte. Und hat auch in anderen Städten Nachahmer gefunden. Derartige Gruppen gibt es in Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Koblenz und Bingen. Auch außerhalb von Rheinland-Pfalz und Hessen wächst die Bewegung. So wird auch in Bonn, Berlin und Hamburg unter dem Motto „Free Your Stuff“ verschenkt.

Svenja Struck hat vor einem dreiviertel Jahr die Wiesbadener Gruppe gegründet, die mittlerweile rund 8000 Mitglieder hat. „Mein Vorbild waren die Mainzer“, sagt die 30-jährige Lehrerin. Auch wenn die Verwaltung viel Arbeit mache, ist sie von der Idee überzeugt: „Häufig habe ich Dinge in der Hand, die ich nicht mehr will, aber ich hätte ein schlechtes Gewissen, sie wegzuwerfen“, sagt Struck. Dafür sei „Free Your Stuff“ die perfekte Lösung. „Die Gruppe hat eine Doppelwirkung: weniger Konsum und weniger Müll“, freut sich Struck.

Selbst für die skurrilsten Dinge findet sich auf der Plattform ein Abnehmer: Kitschige Porzellanclowns oder ein präparierter Schwertfisch zum Aufhängen sind schon verschenkt worden. Meist wechseln jedoch Möbel ihren Besitzer. Auch Kosmetik, Dekorationsartikel und Kleidung werden häufig vergeben. Doch das ist nicht alles: „Die größten Geschenke in Mainz waren zwei Autos“, sagt Neumann. Die waren zum Zeitpunkt des Verschenkens ohne gültige Hauptuntersuchung. Die Nehmer hätten sie aber flott gemacht und nun seien die Wagen wieder auf Mainzer Straßen unterwegs.

„In Wiesbaden wurde mal ein altes Klavier verschenkt“, erinnert sich Struck. Das hätte sie selbst gerne gehabt. „Ich war aber zu langsam“, sagt die Gruppengründerin. Bei „Free Your Stuff“ erhält derjenige den Zuschlag, der sich am schnellsten auf das Angebot meldet. „Das ist die einfachste Variante“, sagt Struck. Auch sonst sind die Gruppenregeln simpel: Vor ein Gesuch wird „Need“ geschrieben, vor ein Angebot „Give“, Geld oder Tauschangebote sind tabu.

„Leider gibt es immer mal wieder schwarze Schafe, die etwas verkaufen wollen oder alles Mögliche nehmen, um es dann auf dem Flohmarkt zu Geld zu machen“, sagt Neumann. Als Administrator versucht er, das zu verhindern und droht mit dem Ausschluss aus der Gruppe.

Studenten, Unternehmer, Rentner, Arbeitslose, Flüchtlinge - es sind ganz unterschiedliche Nutzer auf der Plattform. „Es gibt Leute, die aus finanzieller Not auf Geschenke angewiesen sind und andere, die einfach mitmachen, weil sie die Idee gut finden“, sagt Struck.

Die Idee hat Simon Neumann mittlerweile auch auf andere Bereiche ausgeweitet. So hat er in Mainz auch die „ Foodsharing“-Gruppe gegründet, in der Lebensmittel weitergegeben werden, um sie vor dem Mülleimer zu retten. In der „Free Your Craft“-Gruppe tauschen Menschen Dienstleistungen aus. „Ich will das Prinzip weitertragen, weil es nachhaltig, ökologisch und sozial ist“, sagt Simon Neumann. Auch Svenja Struck ist überzeugt: „Der Trend ist ein positives Zeichen unserer Generation“.

Wissenschaftler verstehen die Ökonomie des Teilens, unter der man „Free Your Stuff“ einordnen kann, als wachsendes Phänomen. Peter Wippmann, Trendforscher und Professor für Kommunikationsdesign in Essen, sieht im Internet die zentrale Voraussetzung für die Sharing Economy. „Ausgeliehen und getauscht haben die Menschen schon immer, aber durch das Internet bekommt das Phänomen eine andere Dynamik und Effektivität“, sagt der Wissenschaftler.

Harald Heinrichs von der Universität Lüneburg hat das Phänomen in seiner 2012 publizierten Studie „Sharing Economy“ untersucht. Er zählt etwa jeden vierten Deutschen zur Gattung der sogenannten Ko-Konsumenten, die „ihren eigentumsorientierten Individualkonsum um alternativen Besitz- und Konsumformen“ erweitern.

Peter Wippmann glaubt, dass es in Zukunft noch mehr Konsumenten und Anbieter im Bereich der Sharing Economy geben wird: „Das Phänomen steht gerade erst am Anfang“, prognostiziert er.

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