Sterbehilfe: Ein Land diskutiert

Günther Jauch las in seiner Sendung den Abschiedsbrief von Ex-MDR-Intendant Udo Reiter vor.

Sterbehilfe: Ein Land diskutiert
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Düsseldorf. Die Diskussion um eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland, die der Bundestag im November beginnen will, hat spätestens mit der „Günther Jauch“-Sendung vom Sonntagabend die breite Öffentlichkeit erreicht. 4,34 Millionen Zuschauer sahen und hörten nach dem „Polizeiruf“, wie Günther Jauch den Abschiedsbrief des früheren MDR-Intendanten Udo Reiter vorlas, der sich am 9. Oktober im Alter von 70 Jahren erschossen hatte.

In seinem Abschiedsbrief schrieb Reiter, nach fast 50 Jahren im Rollstuhl hätten seine körperlichen Kräfte in den letzten Monaten so rapide abgenommen, dass er demnächst mit dem völligen Verlust seiner bisherigen Selbstständigkeit rechnen müsse. Auch beobachte er ein Nachlassen seiner geistigen Fähigkeiten, das wohl in einer Demenz enden werde. Weiter heißt es in dem Brief wörtlich: „Ich habe mehrfach erklärt, dass ein solcher Zustand nicht meinem Bild von mir selbst entspricht und dass ich nach einem trotz Rollstuhl selbstbestimmten Leben nicht als ein von Anderen abhängiger Pflegefall enden möchte. Aus diesem Grund werde ich meinem Leben jetzt selbst ein Ende setzen.“

Mit Jauch diskutierten der scheidende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, die Medizinethik-Professorin Bettina Schöne-Seifert und Thomas Gottschalk, der mit Udo Reiter eng befreundet war. Gottschalk, der noch vor wenigen Wochen mit Reiter zusammen gesessen hatte, schilderte sehr offen seine widersprüchliche Haltung zur Selbsttötung des Freundes. Für sich selbst nahm der 64-jährige Moderator in Anspruch, den Gedanken an den Tod noch verdrängen und ihn auch nicht planen zu wollen.

Müntefering, der 2009 als SPD-Vorsitzender zurückgetreten war, um seine schwer kranke Frau zu pflegen, sprach sich gegen eine gesetzliche Erlaubnis zur Sterbehilfe aus. Müntefering warnte eindringlich, die Hilfsbedürftigkeit kranker Menschen mit der Frage nach dem Wert des Lebens zu verknüpfen. Dies sei eine Zumutung für alle Pflegebedürftigen und für alle, die sie pflegten.

Auch Nikolaus Schneider, der seine schwer erkrankte Frau gegen seine eigene Überzeugung im Fall einer Sterbehilfe in die Schweiz begleiten will, sprach sich ebenfalls gegen eine liberalere Sterbehilfe aus. Er betonte zugleich, die Kirche sei insgesamt in ihrer Haltung zurückhaltend geworden, den „Selbstmord“ als eine nicht vergebbare Sünde zu betrachten.

Bettina Schöne-Seifert als Medizinerin kritisierte vor allem das Standesrecht der Ärzte. So würden Ärzte teils durch die Ärztekammern an legaler Hilfe gehindert: „Das Standesrecht verbarrikadiert die ärztliche Suizidhilfe“, sagte Schöne-Seifert.

Am Sonntagmorgen hatte sich auch der Erzbischof von Köln, Rainer Maria Kardinal Woelki, in seiner Predigt im Kölner Dom zum Thema geäußert. Woelki rief dazu auf, Sterbenden einen „Schutzraum“ in Form von Palliativpflege und Schmerztherapie zu geben. Sterbehilfe lehnte der Kardinal ab. Er wisse, dass sie auch unter Katholiken zunehmend als akzeptabel gelte, so Woelki, aber sie sei „eine Hilfe, die diesen Namen nicht verdient, weil sie nicht das Leben, sondern den Tod anstrebt.“

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