Mathematik: Mit Wasser gegen Rechenschwäche

Mathematik: Torsten Landwehr hat in Köln ein Rechentherapiezentrum gegründet. Dort hilft er Menschen, ihre Probleme mit Zahlen zu überwinden.

Köln. Zahlen waren seit jeher Melanies (Name von der Redaktion geändert) größter Feind. Ein Feind, der die heute 28-Jährige stets verfolgte, dem sie nicht aus dem Weg gehen konnte. Im Mathematikunterricht in der Schule zum Beispiel. Melanie quälte sich durch unzählige Nachhilfestunden, trotzdem stand unter jeder Klausur, auf jedem Zeugnis eine sechs.

Oder im Supermarkt an der Kasse: Der Blick ins Portmonee trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. "Ich habe immer mit Kreditkarte gezahlt, um kein passendes Geld zusammenzählen zu müssen", berichtet Melanie.

Trotz ihrer Rechen-Probleme schaffte sie das Abitur, studierte Soziologie. "Ich habe mich im Alltag so gut ich konnte durch die Welt der Zahlen gemogelt", beschreibt die junge Frau. Erst als sie nach ihrem Uni-Abschluss auf Jobsuche ging, war ihr klar: Ich kann meine Mathe-Schwäche und die Panik vor Zahlen nicht länger verstecken. "Ich hatte Angst, dass mich das irgendwann im Beruf behindert", sagt sie.

Seit ein paar Wochen trainiert Melanie jetzt mit Torsten Landwehr. Der 39-Jährige ist Lerntherapeut und hat sich auf Rechenschwäche, Dyskalkulie genannt, spezialisiert. Er weiß: "Dyskalkulie kann vollständig geheilt werden, auch im Erwachsenenalter." Denn anders, als viele denken, habe die Rechenschwäche nichts mit einer allgemeinen Minderbegabung zu tun. "Die Betroffenen haben nur im mathematischen Bereich Schwierigkeiten, sind ansonsten sogar oft sehr intelligent", sagt Landwehr.

Nachhilfe und ständiges Üben allerdings helfe bei Dyskalkulie nicht, sondern lasse die Betroffenen noch mehr verzweifeln. "Da werden Regeln erklärt und wiederholt. Das eignet sich für Menschen, die bestimmte Dinge der Mathematik nicht begriffen haben. Dyskalkuliker sind aber nicht einfach nur schlecht im Rechnen, sie haben Grundlegendes der Mathematik nicht verstanden. Das hat, wie bei Melanie, Auswirkungen aufs tägliche Leben, vergleichbar mit Analphabetismus." Im schlimmsten Fall seien die Betroffenen nicht in der Lage, fünf plus fünf zusammenzurechnen.

Landwehr hat in Köln das Rechentherapiezentrum gegründet. Zu ihm kommen rund 80 Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene in jedem Alter.

Bei all seinen "Patienten" wendet er die Wasserglas-Methode an. Das Prinzip: Anhand von gefärbtem Wasser sollen die Betroffenen lernen, Zahlen und Mengen weniger abstrakt zu sehen. "So kann man Rechenwege, Zahlen- und Mengenverhältnisse selber entdecken. Man erlebt sie praktisch, kann sie nachvollziehen", erklärt er. Mancher Schüler etwa habe es dadurch sogar vom Dyskalkulie-Betroffenen zum Mathe-Leistungskurs geschafft.

Melanie etwa will er mit Hilfe der Gläser Gleichungen nahe bringen. Dazu nimmt er eine Waage, stellt auf eine Seite ein volles, auf die andere ein leeres Glas. "In jedes Glas passen zehn Schlücke. Wieviel Schlücke musst du in das leere Glas geben, damit die Waage ins Gleichgewicht kommt?", fragt er. Melanie zögert nur kurz, gießt dann das leere Glas voll. "Super", lobt Landwehr, und Melanie strahlt: "Das wäre mir früher nicht gelungen."

Nach Landwehrs Schätzungen ist die Zahl der Betroffenen "gigantisch". Schon in jeder Grundschulklasse hätten ein bis zwei Kinder eine Rechenschwäche. "Manche können das in der Schulzeit noch kompensieren und tricksen sich, so wie Melanie, durchs Leben. Vielen verbaut die Schwäche trotz anderer Begabung allerdings den Schulabschluss und damit auch eine berufliche Karriere."

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