WBS — Leben mit einem Gendefekt

Das Syndrom bleibt oft unentdeckt. Ein Kino-Film bringt die Problematik an die Öffentlichkeit.

WBS — Leben mit einem Gendefekt
Foto: dpa

Herne. Jörg Wein spielt gerne Playstation, sammelt Schlüsselanhänger, wirkt fröhlich, zufrieden und gut umsorgt. In seiner Entwicklung ist er deutlich zurück — mit seinen 43 Jahren. Jörg hat einen seltenen und folgenreichen Gendefekt: das Williams- Beuren-Syndrom. Es ist nur wenigen bekannt und bleibt oft unentdeckt. In einem der beiden Chromosomen 7 fehlen mehrere Gene, was zu unterschiedlichen geistigen und körperlichen Behinderungen führt. Auch Gabrielle Marion-Rivard hat WBS. Ab Donnerstag ist sie in dem Film „Gabrielle — (k)eine normale Liebe“ als Hauptdarstellerin zu sehen — eine Lovestory zweier behinderter Menschen, schon im Vorfeld hochgelobt und ausgezeichnet.

„Der Film ist ganz wichtig für uns“, sagt Jörgs Vater Bernd Wein, der auch Vorsitzender des WBS-Landesverbands NRW mit rund 140 Betroffenen ist. „Um die Problematik in die Öffentlichkeit zu bringen. Um zu informieren, was das WBS ist und aufmerksam zu machen, dass der ein oder andere es vielleicht selbst unwissentlich hat.“ Denn: „Wenn man sich auskennt, kann auch die Förderung früh einsetzen, was empfehlenswert ist. Gerade gab es einen Fall, bei dem WBS bei einem Jungen erst mit 21 Jahren festgestellt wurde.“

Bei Jörg liegt die Diagnose bereits 40 Jahre zurück. Als knapp Dreijähriger fiel er bei der Kinderärztin in Herne wegen allgemein verzögerter Entwicklung auf. „In der Klinik kam dann die Keule: ,Ihr Sohn ist geistig und körperlich behindert’“, erzählt Bernd Wein. „Sechseinhalb Wochen hat es gedauert, bis dann die Diagnose WBS abgeklärt war. Heute geht das alles viel schneller.“ In mehreren Krankenhäusern wurden Leber, Herz und Kopf untersucht. Im Erwachsenenalter kam eine schmerzhafte Darmentzündung dazu, die häufig ist bei WBS. Bei Jörg wurde sie erst nach leidvollen Fehldiagnosen entdeckt.

Bei den Kinderkardiologen klingeln die Alarmglocken inzwischen schnell, wenn Säuglinge oder Kleinkinder mit WBS-typischen Symptomen kommen, sagt Kinder- und Jugendarzt Rainer Pankau. Verengung an der Hauptschlagader, Bauchschmerzen, wiederholtes Erbrechen, Trink- und Essprobleme, Entwicklungsverzögerungen beim Laufen, Sitzen, Spracherwerb. Auch im Gesicht zeigen sich Auffälligkeiten — etwa ein kleiner Kopf, breite Stirn, kugelige Nase, schmales Kinn und Schmolllippen. Das geschulte Auge könne WBS früh mittels Blickdiagnose ausmachen, sagt Pankau. Ein Bluttest bringe zügig Klärung.

Jörg arbeitet heute in einer Behindertenwerkstatt — Einlagen aus Plastik sind auszustanzen. „Blister ausdrücken, ich habe jetzt eine Aufgabe“, erzählt er. Sein Vater bringt ihn und mehrere behinderte Kollegen mit dem Bus zur Werkstatt. Auch seine Mutter Ellen begleitet die Fahrten morgens und nachmittags, unterstützt Jörg im Alltag. „Er braucht immer etwas Hilfe.“ Lesen und Schreiben funktioniert mit Druckbuchstaben einigermaßen. „Ich hab’ Mama und Papa gerne“, sagt Jörg mit einem Lächeln.

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