Werbung: Warum Geiz nicht mehr geil ist

Der Zeitgeist hat sich verändert. Die Kunden achten nicht mehr nur auf den Preis.

Düsseldorf. Vor fünf Jahren wurde Geiz plötzlich geil. Stand das Wörtchen Geiz früher einmal für Habsucht, Gier und Sünde, drang es als schriller Werbeslogan in Begleitung des Adjektivs "geil" unaufhaltsam tief ins Bewusstsein der Verbraucher ein. Und tat etwas, was eigentlich gar nicht seine ursprüngliche Bestimmung war: Es animierte die Kunden zum Kaufen.

Die Elektronikmarktkette Saturn und die Top-Werbeagentur Jung von Matt hatten mit diesem Werbespruch den Zeitgeist nicht nur getroffen, sondern ihn geradezu erschaffen. Doch jetzt wird die erfolgreichste Saturn-Werbekampagne der Firmengeschichte ausgemustert. "Der Zeitgeist hat sich geändert", sagt Roland Weise, Vorsitzender Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding, lapidar.

Seit Tagen können die Verbraucher auf Werbeplakaten lesen, wie der neue Marketing-Partner von Saturn, die Berliner Kreativen von Scholz & Friends, den Zeitgeist nun interpretiert. "Sie werden lieben. Sie werden hassen." ist auf schwarzen Werbeplakaten zu lesen. Aber was bitteschön? "Wir lieben Technik. Wir hassen teuer." Dieser Slogan liefert ab morgen die Auflösung des Rätsels und zugleich das Motto für die neue Saturn-Kampagne. Und zeigt: Geiz bleibt irgendwie doch noch ein bisschen geil bei Saturn. Der Rest aber gehört den schönen, neuen Technikspielzeugen, der Ware, dem Produkt eben. Eine halbe Milliarde Euro lässt sich die Metro-Tochter die Werbung allein in diesem Jahr kosten.

"Die Konsumenten sind im Aufschwung wieder ausgabefreudiger", sagt Weise. Die reine Orientierung am Preis sei überholt. Doch ganz darauf verzichten, dieses Risiko wollte das Management wohl doch nicht eingehen. Schließlich ist Saturn einfach zu gut mit der Geiz-Kampagne gefahren.

Aber warum war der Slogan so ein Riesenerfolg, dass er schon bald Stammgast in Wirtschaftsteil, Feuilleton und Kommentar zur Lage der Nation war? Warum konnten sich so viele mit einem Image identifizieren, das doch völlig negativ besetzt war?

"Geiz ist geil" brachte die gefühlt-prekäre Wirtschaftslage am Anfang des neuen Jahrtausends auf den Punkt - und spielte gleichzeitig mit dem häufig unterstellten Grundcharakter der Deutschen. Pedantisch, ordentlich und übertrieben sparsam. "Die Franzosen lieben die Vielfalt, die Engländer den Service und die Deutschen den Preis", beklagte seinerzeit Wolfgang Twardawa von der Gesellschaft für Konsumforschung.

Und die Deutschen nutzten die Chance, sich endlich offen dazu zu bekennen. Während in den 90er Jahren angesichts des Börsenhypes im Freundeskreis die fette Beute aus Aktienspekulationen diskutiert wurde, war es plötzlich en vogue, auszutauschen, wer, wann und wo am günstigsten eingekauft hatte.

Davon hat Saturn mit einem stürmischen Wachstum profitiert - im ersten Quartal 2007 erzielte die Elektronikfachmarktkette das stärkste Plus seit mehr als zwei Jahren. Da verwundert es nicht, dass das Management den Geiz-Claim auch mit der neuen Kampagne nicht so ganz aufgeben will. Gleichzeitig folgt es aber dem Zeitgeist, der wieder mehr Qualität, Service und Orientierung verlangt.

Österreich In Österreich musste die Werbekampagne verändert werden. Im Werbespot sah man eine Art Nachstellung der Präsentation des österreichischen Staatsvertrages an die Bevölkerung durch Außenminister Leopold Figl. Die Werbefigur stand so wie Figl damals am Balkon, hielt ein Saturn-Werbeprospekt in den Händen und rief laut unter dem Beifall der Menschen "Österreich ist geil!" Aufgrund massiver Beschwerden darüber, dass durch ein deutsches Unternehmen ein maßgebliches Ereignis der österreichischen Geschichte herabgewürdigt werde, wurde dann der deutsche Slogan "Geiz ist geil!" verwendet.

Spanien In Spanien nutzt Saturn eine sinngemäße Übersetzung des Slogans, wobei der Begriff geil jedoch umgangssprachlich kaum zur Verwendung kommt. Der Spruch ist als "la avaricia me vicia" übersetzt, wobei viciar ein mehrdeutiges Verb ist, sodass der Spruch als "Geiz verdirbt mich" oder "Geiz belastet mich" verstanden werden kann und als Werbepanne wirkt. Da Saturn jedoch nur mit zwei Filialen im Land vertreten ist, fällt die Werbung der deutschen Handelskette kaum auf.

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