Abstieg ins Totenreich: Die Mumien von Palermo

Palermo (dpa/tmn) - Wer sich zu Halloween (31. Oktober) mal wirklich gruseln will, sollte nach Sizilien fliegen: Dort empfangen ihn in der weit verzweigten Gruft des Kapuzinerklosters von Palermo 2000 Mumien aus über 400 Jahren.

Nichts für Schreckhafte.

Der Weg zur größten Mumiensammlung Europas führt durch ein Stadttor, das aussieht wie eine steingewordene Warnung. Von der 500 Jahre alten Porta Nuova starren riesenhafte Maurenfiguren wie Aladins Lampengeist unheilverkündend auf den Fußgänger herab. Diese Stelle markiert das Ende der Altstadt Palermos - und des Schutzreservats für Touristen, das sich in Ampeln, Hinweisschildern und einer gewissen Nachsicht manifestiert.

Im Westen, ein ganzes Stück vor den Toren der Stadt, errichteten die Kapuziner im Jahre 1534 ihr Kloster. „Ingresso Catacombe“ steht über dem Eingang, dahinter sitzt noch ein einziger lebender Mensch, der den Eintritt kassiert. Dann kommen nur noch Tote.

Trapp-trapp geht es abwärts. Eine Biegung, ein Durchgang - und es öffnet sich der Blick auf die Toten. Nicht schonend aufgebahrt oder gar in Särgen verstaut, sondern aufrecht Spalier stehend wie in einer Geisterarmee. Insgesamt sollen es nahezu 2000 Verblichene sein. Die meisten tragen noch ihre Kleidung: schwarze Anzüge, Rüschenkleider, Kutten und Uniformen, durchlöchert und zerfressen.

Das wirklich Verstörende ist: Die Toten befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Auf manchem Kragen sitzt nur noch ein nackter Schädel mit gebleckten Zähnen, kurz aufgeworfener Nase und schwarzen Augenhöhlen. Über anderen Köpfen spannt sich faltig-braune Lederhaut, umrahmt von ein paar Büscheln schwarzen Haars. Aufgrund besonderer klimatischer Bedingungen - ständiger Luftzug und Wände aus Tuffstein, die Feuchtigkeit absorbieren - verfaulen die Toten weniger als dass sie vertrocknen.

Die Kapuziner entdeckten diesen Effekt 1599. Aus diesem Jahr stammt die älteste Mumie des Bruders Silvestro da Gubbio. Schon damals begannen die Mönche damit, ihre Toten an der Wand auszustellen - als Mahnung für die Lebenden: „Was wir sind, werdet ihr sein, was ihr seid, sind wir gewesen.“ Doch nach einiger Zeit fanden auch reiche Palermitaner Gefallen daran, ihre Liebsten über das Ende hinaus besuchen zu können.

Bald war der Andrang so groß, dass die Kapuziner das Gängesystem erweiterten und die Toten in der sogenannten Trockenkammer etwa acht bis zehn Monate zunächst gut abhängen ließen, bis sie ihnen einen festen Standplatz zuwiesen, hübsch geordnet nach Männern und Frauen, Priestern und Lehrern. Der Tod macht hier nicht alle gleich, er schreibt die irdischen Verhältnisse fort.

Im 19. Jahrhundert wurde der Totenkult verboten, doch danach ging es - dies ist Italien - noch ein paar Jahrzehnte weiter. Die größte Attraktion ist heute der Körper der kleinen Rosalia Lombardo, die 1920 von der Spanischen Grippe dahingerafft wurde. Der Vater der Zweijährigen, General Mario Lombardo, war untröstlich. Und da er ein Mann von einigem Einfluss war, beauftragte er den berühmten Einbalsamierer Alfredo Salafia damit, seine Tochter wenigstens äußerlich zu erhalten.

Der Chemiker schuf mit Rosalia sein Meisterwerk: die „schönste Mumie der Welt“. Man ist versucht, das bildschöne Mädchen mit der rosa Schleife im Haar aus seinem Glassarg zu nehmen und all den grässlichen Knochenmännern zu entreißen.

Wenn man die Katakomben an einem Vormittag unter der Woche besucht, kann es sein, dass man mit den Toten ganz allein ist. Nur manchmal dringen dann durch einen Luftschacht leise Geräusche aus der Welt der Lebenden in die Tiefe. Den meisten Toten ist die Kinnlade heruntersackt, und so hat es den Anschein, als würden sie schreien - nur der Ton ist abgedreht.

Service:

Geöffnet täglich von 09.00 bis 13.00 und von 15.00 bis 17.00 Uhr, sonntags nur vormittags. Eintritt 3 Euro.

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