Auf den Spuren von Schindlers Liste - Kazimierz ist Touristenmagnet

Krakau (dpa/tmn) - Steven Spielberg hat Kazimierz zur Touristenattraktion gemacht. Seit sein Film „Schindlers Liste“ in die Kinos kam, wollen Besucher aus aller Welt den alten jüdischen Stadtteil Krakaus sehen.

Die Zahl der Hostels ist stark gestiegen. Der Bierabsatz auch.

Trödel, der als Vorkriegs-Antiquität angepriesen wird, Second-Hand-Kleidung und eine Wurst oder Kartoffelpfannkuchen am Imbiss-Stand — ein wenig erinnert der „Plac Nowy“ (Neuer Platz) an das alte Kazimierz mit seinem polnischen und jiddischen Sprachgemisch, wo die alten Kleider noch Szmaty und die Kartoffelpfannkuchen Lattkes hießen. Jazzkneipen, Clubs und Straßencafés ringsum sind allerdings neu, ebenso wie ihr Kundenstamm aus aller Welt oder die Elektrobähnchen, deren Aufschrift in drei Sprachen einen Besuch auf den Spuren von „Schindlers Liste“ verspricht.

Seit Steven Spielberg vor 20 Jahren sein oscar-gekröntes Drama über die Geschichte von Oskar Schindler drehte — jenem Mann, der in Krakau als Kriegsgewinnler reich werden wollte und zum Retter von 1200 Juden wurde — ist der einstige jüdische Stadtteil Kazimierz zum Touristenmagneten geworden.

Wer an einem nebligen Herbsttag in der Dämmerung durch die engen Gassen geht, vorbei an den alten Synagogen und der Mauer um den jahrhundertealten jüdischen Friedhof, glaubt fast das melancholische Geigenmotiv des Film durch die kühle Luft schwingen zu hören. Und wer an Wochenenden im Sommer ausgelassene Touristen literweise dem polnischen Bier zusprechen sieht, kann sich kaum vorstellen, dass hier vor mehr als 70 Jahren Menschen jeden Tag ums nackte Überleben kämpften.

Broschüren und Flugblätter, die Touren zur Schindler-Fabrik und den Drehorten des Films anbieten, sind allgegenwärtig — ob am Empfang der zahlreichen Backpacker-Hostels, in Restaurants, die mit abendlichen Klezmer-Konzerten um Kundschaft werben oder neben Bücherstapeln im „Jarden“, der ältesten Buchhandlung, die sich in Kazimierz auf Bücher zu polnisch-jüdischen Themen spezialisierte.

Aber auch auf eigene Faust können sich Besucher auf den Weg machen — und dabei feststellen, dass die originalen Filmschauplätze und die originalen Orte meist nicht übereinstimmen. Denn Podgorze, der Ort des Krakauer Ghettos, liegt jenseits der Weichsel, die Kazimierz von zwei Seiten umgibt.

Aber dort war alles zu neu und zu zeitgenössisch, fand Spielberg. In Kazimierz, jahrzehntelang vernachlässigt, fand er gewissermaßen die natürliche Kulisse. Der Platz des Ghettos wurde für die Dreharbeiten also auf die Ulica Szeroka verlagert und damit direkt ins eigentliche Herz des alten jüdischen Krakaus.

Im „Ariel“, einem der ersten Restaurants, die Anfang der 1990er Jahre in Kazimierz traditionelle jüdische Gerichte wie Gefilte fisz und Karp zydowski anboten, ließ Spielberg Liam Neeson als Oskar Schindler ein rauschendes Fest für die örtlichen Nazi-Funktionäre geben. Ein Innenhof in der nahen Ulica Józefa (Jozef-Straße), in dem sich mittlerweile im Sommer ein beliebter Biergarten findet, war die Kulisse für die Szenen, in denen sich verängstigte Ghetto-Bewohner während einer Razzia vor deutschen Soldaten verstecken.

Von der einstigen Ghetto-Mauer sind in Podgorze nur noch Bruchstücke erhalten. Auch vom Gebiet des Arbeitslagers Plaszow sind viele Soielberg-Touristen enttäuscht, die darauf hofften, Motive des Films wiederzuerkennen — von den Baracken der Häftlinge und Zwangsarbeiter ist nichts mehr zu sehen.

Die alte Schindler-Fabrik dagegen ist seit dem Sommer 2010 ein Museum mit einer Multimedia-Ausstellung über das Schicksal der Krakauer Einwohner im Zweiten Weltkrieg. Die Tafel, die an Oskar Schindler erinnert, hing dagegen schon an dem Gebäude, als es noch jahrelang leer stand. „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“, wird darauf aus dem Talmud zitiert.

Für manche Besucher ist überraschend, dass große Teile der Ausstellung dem Besatzungsalltag der nichtjüdischen Polen gewidmet sind. „Wieso ist hier so wenig von den polnischen Juden die Rede?“ fragt Lauren Tucker, eine amerikanische Besucherin, verblüfft. „Ich denke, das ist ein Holocaust-Museum.“ Dass auch Polen unter der Besatzung litten, war ihr bis zu diesem Augenblick unbekannt.

Zum Déja Vu wird der Besuch von Schindlers Büro. Der Schreibtisch, die Fotos, die Schreibmaschine, eine Schreibmaschine wie jene, auf der die lebensrettende Liste getippt wurde - ganz wie im Film. Ein Herrenhut und ein Regenschirm scheinen nur auf den Schindler-Darsteller Liam Neeson zu warten.

Gleich nebenan, umgeben von dem Emaillegeschirr, das in Schindlers Fabrik hergestellt wurde, ist ein kleiner runder Raum. Hier werden die meisten Besucher still. An den Wänden stehen Namen — Namen wie Rena Ferber, Isak Herz oder Dawid Horowitz. Es sind die Namen der Schindler-Liste, der rund 1200 Juden, die überlebten.

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