Die Sozialrallye in die Mongolei

Hamburg (dpa/tmn) - Zwei Hamburger Brüder kündigen ihre Bürojobs und machen sich auf den Weg in die Mongolei - mit dem Auto. Ihre Reise um die halbe Welt führt sie durch karge Wüsten und schroffe Gebirge - und verändert ihr Leben.

Es ist ein sonniger Sommertag, als sich Daniel und Sebastian Kaerger in Hamburg ins Auto setzen und alles hinter sich lassen. Jobs, Termine, Stress. Das Ziel der Brüder: Ulan Bator, die Hauptstadt der Mongolei. In einem roten „Kia Rio“, 1,2 Liter Hubraum, 80 PS, wollen sie einmal um die halbe Welt fahren, so weit wie die Luftlinie von Hamburg nach Sydney. Ohne Navigationssystem, nur mit Kompass und Landkarten. Sechs, sieben Wochen wird die Reise dauern, so genau wissen sie es nicht.

Zuerst müssen sie aber in die falsche Richtung fahren, nach Goodwood in Südengland. Dort startet offiziell die „Mongol Rally“, an der die beiden und rund 450 andere Teams aus aller Welt teilnehmen. Sebastian, 31, und Daniel, 32, sind im Juli 2010 die einzigen Deutschen. Die Strecke ist nicht vorgegeben, auch kein Zeitlimit. Dafür aber Alter, Motorstärke und Größe der Autos. Und: Alle Teilnehmer sollen vorab Spenden für wohltätige Zwecke sammeln.

1000 britische Pfund haben Sebastian und Daniel von Freunden und Bekannten zusammengekratzt, das Geld geht an die internationale Hilfsorganisation Mercy Corps. Einmaliges erleben und Gutes tun, das ist die Idee der Rallye. Dieses Jahr startet sie am 23. Juli, wieder in Goodwood.

Nach dem Start in England durchqueren die Brüder zunächst Europa: Frankreich, Belgien, Deutschland, Tschechien, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien. Sie übernachten auf Campingplätzen, in Hostels, auf Kartoffeläckern. „Aber erst bei unserem ersten längeren Stopp in Istanbul hatten wir das Gefühl, jetzt geht es richtig los“, sagt Sebastian rückblickend. „Jetzt verlassen wir Europa, jetzt kommt das Abenteuer.“ Zu diesem Zeitpunkt haben sie gut 5000 Kilometer hinter sich.

Ab da campen sie fast immer wild, nur in größeren Städten gönnen sie sich mal ein Hotel und eine heiße Dusche. „Die längste Strecke ohne Dusche waren sieben Tage. Zur Not springt man eben in einen Fluss“, sagt Daniel und lacht. „Das Fahren ist unglaublich befreiend. Du denkst nicht mehr an Arbeit oder E-Mails. Du bist ganz bei dir selbst und in der Natur. Du bist irgendwo im Nirgendwo.“

Ihre Tage im Auto unterwegs verlaufen immer gleich: Aufstehen mit dem Sonnenaufgang, Zelt abbauen, Powerriegel zum Frühstück, einpacken. Und dann: Fahren, stundenlang. Sie kurven entlang der Küste des Schwarzen Meers, durch anatolische Berglandschaften mit Nadelbäumen und schäumenden Gebirgsbächen. Dann wird die Szenerie karger, vorbei am schneebedeckten Ararat geht es weiter in den Iran.

Überall, wo die beiden Deutschen anhalten, schlägt ihnen Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegen. „Im Iran haben uns alle angehupt. Eine Frau hat beim Vorbeifahren ihr Kopftuch runter gerissen und uns damit zugewinkt. Nur wegen unseres deutschen Kennzeichens“, erzählt Sebastian.

Trotzdem, dass ihre Reise nicht ganz ungefährlich ist, bleibt ihnen bewusst. „Man muss sich an ein paar Grundregeln halten“, sagt Daniel. „Immer anschnallen. Am Steuer keinen Mist machen. Nie nachts fahren. Und sich niemals hetzen lassen.“ Sie haben sich gut vorbereitet. Monatelang haben sie Visa beantragt, Spenden gesammelt, Sponsoren gesucht, Ausrüstung besorgt, Landkarten, Bücher und Reiseführer gekauft. Von Wasser- und Benzinkanistern, Auto-Ersatzteilen, Konserven und Pumpernickel bis hin zu Antibiotika und feuchten Babytüchern haben sie alles im Gepäck.

In Usbekistan haben die Tankstellen gerade kein Benzin, dafür sehen die beiden hier wunderschöne orientalische Städte mit Kuppelmoscheen und uralten Lehmziegel-Gemäuern. Im Südosten Kasachstans übernachten sie am rotbraunen Tscharyn Canyon, der dem Grand Canyon zum Verwechseln ähnlich sieht. In Russland schenkt ihnen ein Bauer, auf dessen Feld sie heimlich zelten, eine Flasche selbstgeernteten Honig, statt sie zu verscheuchen. In Sibirien freuen sie sich über die nagelneuen Autobahnen mit blitzblanken Leitplanken.

Sie brausen vorbei an türkis glitzernden Seen und kantigen Felsen vor strahlend blauem Himmel. „Die Landschaft im Altai-Gebirge wirkt fast unwirklich, wie eine Modelleisenbahn“, sagt Daniel.

Und dann, am 41. Tag der Reise, erreichen sie den Grenzübergang zur Mongolei. „Du hast fast 15 000 Kilometer hinter dir und denkst, du hast alles gesehen.“ Und dann fährst du über die Grenze - und bist auf dem Mond“, sagt Daniel. „Es ist eine wunderschöne, karge Landschaft. Wie auf einem anderen Planeten.“ Neun Tage rollen sie querfeldein, durch Steppen, Bäche und Flüsse ohne Brücken. An manchen Tagen schaffen sie gerade mal 120 Kilometer in zwölf Stunden, so beschwerlich ist das Gelände.

Am 49. Tag ist es schließlich soweit: Die Brüder treffen in Ulan Bator ein. Der Tacho zeigt 17 085 Kilometer an, sie haben es geschafft. Die offizielle Zielparty der Veranstalter ist längst vorbei, aber das ist ihnen egal. „Der Weg ist das Ziel“, sagt Daniel, eine schreckliche Phrase, aber in ihrem Fall wahr.

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