Glück auf in Oberschlesien: Polnische Industriekultur entdecken

Gliwice (dpa/tmn) - In Oberschlesien tut sich was. Die Industrieregion wandelt sich. Etliche Bergwerke haben dichtgemacht. Dafür erkunden jetzt Touristen die neue Route der technischen Denkmäler. Von denen hat die Region jede Menge zu bieten.

Zechen gibt es in Oberschlesien noch etliche, Hochöfen auch. Aber die große Zeit der Hütten und Gruben ist Geschichte. Viele ehemalige Bergwerke und Industrieanlagen sind inzwischen sogar Touristenattraktionen. Die „ Route der Technikdenkmäler“ verbindet mehrere Dutzend davon. Die historische Silbermine in Tarnowskie Góry und die Kohlengrube „Guido“ in Zabrze zählen genauso dazu wie der Radio-Sender von Gliwice (Gleiwitz).

Was in Deutschland kaum jemand weiß: Die Region in der heutigen Woiwodschaft Slask (gesprochen: Schlonsk = Schlesien) war im 19. eine der europäischen Boomregionen überhaupt. Heute gibt es dort so viele Industriedenkmäler wie nirgendwo sonst in Polen. Etliche davon lassen sich besichtigen, darunter auch Betriebe, die noch arbeiten. Dazu gehört die Glashütte von Zawiercie, wo sich beobachten lässt, wie hart, schweißtreibend und gefährlich die Arbeit dort ist.

Die Glasbläser arbeiten deshalb jeweils nur sechs Stunden am Stück - allerdings in drei Schichten. Die Öfen nachts auszumachen, wäre einfach ineffizient. Bei einem Blick ins Ofenloch ist nichts zu sehen außer helloranger Glut. Dort drinnen ist es 1400 Grad heiß. Einer der Glasbläser greift zu einem Rohr von der Länge eines Besenstils und holt einen Glasklumpen heraus, der ebenfalls glutrot ist. Der Glasklumpen kommt in eine hölzerne Form, dann geht der Glasbläser mit vollen Backen und angestrengtem Gesicht an die Arbeit und pumpt die Luft aus seinen Lungen in das noch immer gefährlich heiße Glas.

Rund 300 Mitarbeiter hat die Glashütte heute, erzählt Anna Suszek - eintausend waren es vor der Wende. „Etwa 95 Prozent unserer Produktion geht in den Export, nach Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, aber auch in die USA oder Brasilien.“ Früher hat die Hütte vor allem Sodaglas für Trinkgläser produziert. Inzwischen ist das Unternehmen ganz auf Kristallglas umgeschwenkt. „Aber immer noch wird alles in Handarbeit gefertigt“, betont Suszek.

Besucher haben Gelegenheit, in einer weiteren Halle den Graveuren über die Schulter zu schauen, anders als bei den Glasbläsern ganz überwiegend Frauen: Einige markieren zunächst auf dem Glas, welche Muster graviert werden sollen. An den übrigen Arbeitsplätzen werden die filigranen Dekors ins Glas geschliffen. Nebenan achtet die Qualitätskontrolle darauf, dass jedes Glas nicht nur sauber poliert wird, sondern auch keine Macken hat. „Das hier ist eine Kaffeetasse“, sagt Anna Suszek. „Ein spezielles Design für den arabischen Markt, dieses Modell geht nach Tunesien.“

Anders als die Glashütte in Zawiercie ist die Silbergrube in Tarnowskie Góry (Tarnowitz) schon lange nicht mehr in Betrieb. Zygmunt Kolock fährt hier trotzdem unter Tage ein. Der Oberschlesier hat lange als Eisenbahner gearbeitet und ist jetzt Führer im Bergwerk der Silberstadt Tarnowitz. „Glück auf!“, wünscht er zur Begrüßung und schart seine Besuchergruppe um sich. Nicht im Schacht allerdings, sondern zunächst in einem ausgesprochen modernen Museum zur Bergbaugeschichte, das an multimedialen Darstellungsformen nichts zu wünschen übrig lässt. Kolock steuert Kurzfilme und Multimediashows mit deutscher Übersetzung über seinen Tabletrechner.

„Eisenerz wurde hier schon im 13. Jahrhundert abgebaut“, erzählt er, „ab 1490 auch Silber.“ Das hat Tarnowitz zu einem der wichtigsten Bergbauprojekte Europas gemacht. Friedrich der Große ließ 1788 eine Dampfmaschine in Betrieb nehmen - Hightech in dieser Zeit. Johann Wolfgang von Goethe, Minister für Bergbau in Weimar, kam zwei Jahre später angereist, um sie sich anzusehen.

Im Lauf der Jahrhunderte ist ein 400 Kilometer langes gigantisches Tunnelsystem entstanden, 150 davon sind erhalten, ein Labyrinth, aus dem Touristen nicht hinausfinden würden. „Wir zeigen bei unseren Führungen allerdings nur 1740 Meter“, sagt Kolock - Bergwerk-Feeling für Warmduscher also, aber immer noch aufregend genug. Stillgelegt wurde die Silbergrube, eines der Highlights an der Route der technischen Denkmäler, bereits 1913, die ersten Touristen kamen 1976.

Vor dem Einfahren in den Schacht lässt Kolock seine Gäste einen Helm aufsetzen, dann drängen sie sich in den Aufzug, der eng genug ist, dass man sich vorstellen kann, wie sich die Kumpel einst gefühlt haben. Der Aufzug rumpelt bis auf 40 Meter Tiefe. Hier unten ist es zehn Grad kühl, das ganze Jahr über. Man merkt es bald: Die Finger werden klamm. Allerdings gibt es heute elektrisches Licht. „Früher war es kalt, laut und dunkel“, sagt Kolock. „Die Bergleute litten unter Rheuma, das Atmen fiel ihnen schwer.“

Der Helm kracht immer mal wieder an die Decke, der Puls beschleunigt sich, es droht tatsächlich anstrengend zu werden. Wird es dann aber doch nicht: Schließlich sollen möglichst viele Touristen hier durch. Und zur Belohnung gibt es dann sogar eine Bootstour, auf einer Länge von 270 Metern unter Tage auf einem Kanal.

Gliwice, das frühere Gleiwitz, hat ebenfalls eine lange Bergbautradition. Doch im Geschichtsbuch steht die Stadt vor allem im Zusammenhang mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs: Mit einem vorgetäuschten Überfall auf den Sender Gleiwitz sollte die SS den Vorwand für den Angriff auf Polen liefern. Der 1935 erbaute Turm des Senders steht noch - 111 Meter hoch. „Nachts konnte man von dort aus Radio Gleiwitz in der ganzen Welt empfangen“, erzählt Dawid Smolorz. Genau deshalb sollte es hier den vorgespielten Überfall geben, bei dem die Angreifer vortäuschen wollten, der Sender auf deutschem Reichsgebiet sei von polnischen Truppen besetzt worden.

Und um das zu beweisen, hatten die Nazis geplant, eine Durchsage zu senden. Dabei hatten sie allerdings übersehen, dass das technisch im Sender Gleiwitz gar nicht möglich war. Die Zuhörer in Paris und London, an die sich die Propaganda-Aktion richtete, gab es also gar nicht. Geschichte geschrieben hat der Turm trotzdem - die Stadtverwaltung bereitet die Bewerbung für die Weltkulturerbe-Liste vor. Ein Museum gibt es schon.

Heute gilt Gliwice mit seinen rund 180 000 Einwohnern als oberschlesische Boomtown. Größter Arbeitgeber ist Opel - der Astra wird hier gebaut. Die Arbeitslosigkeit liegt bei nur rund sechs Prozent. Die Stadt ist - auch und gerade im Vergleich zu seinen oberschlesischen Nachbarn - ausgesprochen schön.

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