Im Bann der Sonnenjungfrauen

Nebelschwaden ziehen wie Weihrauchwolken über Machu Picchu, der Ruinenstadt der alten Inka, die bis heute ein Mysterium ist.

Machu Picchu. „Für uns ist das ein heiliger Ort,“ flüstert die Quechua-Indianerin ihren Schützlingen vor dem Aufstieg ins Ohr und beschwört die Urkräfte von Pachamama, der Erdgöttin von Peru. Machu Picchu, den die Inka „Alten Gipfel“ nannten, hat die kleine zähe Vilma Zuniga schon Dutzende Male bezwungen. Seit 30 Jahren kennt sie all seinen Segen wie seinen Fluch.

Wir marschieren mit ihr auf einem gut ausgebauten Panorama-Weg hoch zur gleichnamigen legendären Inka-Kultstätte. Machu Picchu, die verloren geglaubte „Festung unter den Wolken,“ wurde erst vor einem Jahrhundert wiederentdeckt: vom Historiker Hiram Bingham (1875-1956), einem Professor der Yale-Universität. Ihm ermöglichte einst ein US-Ölmilliardär die Expedition ins Hochland.

Doch es war ausgerechnet ein Hirtenjunge, der Bingham, einen in Honolulu geborenen Missionarssohn, zu seinem Ziel führte.

Der US-Forscher stand am 24. Juli 1911, vor 100 Jahren, staunend vor „aberdutzenden zerfallenen Palästen, Tempeln, Wohnhäusern und Wachposten: allesamt aus prachtvoll behauenen Granitblöcken“, wie er in sein Logbuch notierte. Die sagenhafte Ruinenstadt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts taufte er nach dem Gipfel des Machu Picchu, den er bei seinem Fund wie eine mächtige Trophäe vor Augen hatte.

Den Weg durchs Hochland eskortieren gemächlich grasende Alpakas. Den kleinen Kamelen der Anden, glückverheißende Götterboten, begegnet man auf der atemberaubenden Route über dem Urubamba-Canyon.

„Von Cusco brauchte der Inka Pachacútec mit Gefolge einst viele Tage in seine versteckte Zitadelle,“ erzählt Vilma. Aber er kam auf der Sänfte, während uns bereits im Spaziergangschritt die dünne Luft der Anden ganz schön die Puste raubt. Die 75 Kilometer entfernte Königsstadt Cusco, in der wir uns Tage zuvor auf 3450 Metern akklimatisierten, war einst so mächtig wie Rom.

Während ihrer Blütezeit (vom 13. bis 16. Jahrhundert) herrschten die Inka in Südamerika über einen Vielvölkerstaat mit 200 ethnischen Gruppen. „Das Quechua hat als verbindende Sprache überlebt,“ sagt die Indigena Vilma und treibt uns weiter, während Wolken unser Ziel verhüllen.

Da denken wir an die Anfahrt in dem gemütlich zuckelnden Zug zurück, der uns vom Bergstädtchen Ollantaytambo in eineinhalb Stunden nach Aguas Calientes am Fuße des Machu Picchu brachte: vorbei am wilden Río Urubamba. Und an die zerklüftete Bergwelt der Anden, über der Kondore wie Könige der Lüfte kreisen. Welch ein Kontrast zu den bunt flatternden Kolibris, die in den subtropischen Wäldern des Weltnaturerbe-Reservats Machu Picchu heimisch sind.

Dann sind wir endlich dem mystischen Himmel der Anden ganz nahe. Auf fast 2360 Metern spüren wir, wie eine unerklärliche Kraft uns zu bremsen scheint. „Das ist ein Fingerzeig von Pachamama,“ sagt Vilma in ihrem melodisch singenden Englisch. Wenig später liegt uns die auf Terrassen erbaute, sagenhafte Inka-Kultstätte zu Füßen. Mit dem jetzt wolkenfreien Huayna Picchu (2700 m) ein spektakuläres Panorama.

Die Baumeister des Alten Peru schufen mit akkuraten Steinquadern eine Architektur, die stärksten Erdbeben trotzte. Wie sie Blöcke von mehr als 100 Tonnen ohne Wagen und Zugtiere transportierten, bleibt unerklärlich. Zudem legten sie ein perfektes Bewässerungssystem für ihre Terrassenfelder an — nebst Brunnen, die ein schnelles Auffüllen der fragilen Amphoren ermöglichten.

Ob die Inka ihre wunderbare Zitadelle tatsächlich wegen eines feindlichen Angriffs im Jahr 1572 verließen? Darüber wird bis heute spekuliert.

Auf dem großen Zeremonienplatz erzählt Vilma schließlich von den mysteriösen Sonnenjungfrauen. Wurden sie wirklich einst Opfer von Fruchtbarkeitsritualen? „Sie brauten Maisbier und webten feine Stoffe, die einen höheren Wert als Gold hatten. Wie alle der 1000 Menschen, die hier lebten, waren sie mit Vorbereitungen für den Besuch des Inka-Königs beschäftigt.“ Warum so viele weibliche Mumien am Machu Picchu gefunden wurden, bleibt ebenfalls ungeklärt.

Der Ansturm auf das Unesco-Weltkulturerbe ist so groß, dass die täglichen 2000 Besucher zu einer immer größeren Belastungsprobe für den Naturschutz werden. Der fordert längst seinen Tribut. So ist der 45 Kilometer lange Inka-Trail, die beliebte mehrtägige Trekking-Tour, nur noch in geführten Gruppen möglich.

Beim Tempel des Kondors mit seinem Ritual-Stein zu Ehren eines der weltweit größten Greifvögel fragen wir uns, warum die vom Goldfieber getriebenen Spanier niemals Zugang zum Machu Picchu fanden.

Relikte wie sakrale Vasen und Ritualobjekte aus Silber können in Lima bestaunt werden. „Bald soll das Erbe unserer Ahnen einen Ausstellungsplatz in der Königsstadt Cusco finden,“ freut sich Vilma und murmelt noch einen Segensspruch zu Ehren der Erdmutter, der auf dem Machu Picchu mit ihrer geweihten Felsenhöhle ein ganz besonderer Kultplatz gehört.

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