Kulturhauptstadt Riga: Schwarzer Balsam und Backsteingotik

Riga (dpa/tmn) - Riga wird Kulturhauptstadt. Zum Weltkulturerbe gehört ihre Altstadt sowieso schon, und ausgesprochen schön ist sie auch. Nun gibt es noch einen Grund mehr für einen Besuch in der lettischen Metropole.

Die Männer am Ufer der Daugava schauen schon lange wie gebannt auf den Fluss. Aber man weiß nicht so recht, was sie da sehen. Auf der gegenüberliegenden Seite ragt Rigas neue Nationalbibliothek in die Höhe, ein auffälliger Bau, der an einen Berg erinnert. „Gaismas pils“ heißt das neue Gebäude auf Lettisch - „Schloss des Lichts“. Er spielt eine wichtige Rolle, wenn Riga 2014 Europäische Kulturhauptstadt ist.

Schon ab Januar gibt es dort mehrere kleinere Ausstellungen, ab 1. Juli dann eine große: Sie widmet sich dem Thema „500 Jahre Buchdruck“. Schließlich ist es 2014 genau ein halbes Jahrtausend her, dass zeitgleich die erste Thora, das erste Buch in arabischen Buchstaben und das erste Buch in polnischer Sprache gedruckt wurden. Vom alten Bibliotheksgebäude soll es am 18. Januar außerdem eine Menschenkette zum neuen geben - quer durch die Stadt. Und wer sich einreiht, reicht dann die Bücher aus der alten Bibliothek von Hand zu Hand weiter in die neue.

Dass jemand auf die Idee mit der Menschenkette gekommen ist, ist kein Zufall. Im Kampf um die Unabhängigkeit von der Sowjetunion war sie ein wichtiges Protestinstrument: Zum 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes von 1939, mit dem das Ende der unabhängigen baltischen Staaten besiegelt wurde, organisierten Letten, Esten und Litauer eine Menschenkette von Tallinn über Riga bis Vilnius. Ein eigener Staat ist Lettland erst seit 1991 wieder, EU-Mitglied seit 2004 - genau zehn Jahre später wird Riga nun Europas Kulturhauptstadt.

Rigas Vorzeige-Boulevard ist die Brivibas iela, die Freiheitsstraße. Jede Stadtführung führt hierher. Und immer geht es dann auch zu Milda: So nennen die Letten die Figur aus Kupfer, die oben auf dem Freiheitsdenkmal steht, die Arme hoch erhoben, drei Sterne in den Händen. Vom Freiheitsdenkmal aus ist es nicht weit bis in die Altstadt, die zum Weltkulturerbe gehört. Es gibt hier eine Riesenauswahl an touristischen Attraktionen - von Jugendstilhäusern über Kunstmuseen bis zur Oper.

Und üppig ist auch die Auswahl an Cafés und Restaurants. Eine Spirituosenspezialität der Stadt ist Schwarzer Balsam: ein Kräuterlikör, der schon im 18. Jahrhundert destilliert wurde. In der „Black Magic Bar“ werden damit auch Cocktails gemischt - und im Keller ist ein Alchimistenlabor zu sehen, wie das, in dem die hochprozentige Droge entstanden sein soll.

Deutschen Touristen kommt in der Altstadt vieles vertraut vor - weil zum multikulturellen Erbe der Stadt auch die deutschen Wurzeln gehören, Backsteingotik und Barockkirchen inklusive. Der Dom etwa geht auf das 13. Jahrhundert zurück - und auf den Stadtgründer Bischof Albert, der in seinem Leben davor Domherr in Bremen war.

Nicht weit von der St. Petri Kirche stehen sogar die Bremer Stadtmusikanten: Die moderne Skulptur war 1990 ein Geschenk von Rigas Partnerstadt Bremen. Esel, Hund, Katze und Hahn gucken allerdings durch einen Spalt des Eisernen Vorhangs, der im Kalten Krieg Ost und West unbarmherzig teilte.

Am Rathausplatz steht nun wieder das Schwarzhäupterhaus. Seine Geschichte reicht zurück bis ins 14. Jahrhundert: Es gehörte reichen Kaufleuten - der Compagnie der Schwarzhäupter - und zählte zu den schönsten Gebäuden der Stadt, wurde aber im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die Rekonstruktion ist gelungen - bis in Details wie der riesigen astronomischen Uhr an der Fassade.

Aber Riga hat auch ganz andere Seiten als das so norddeutsch anmutende alte Stadtzentrum. Ein Abstecher in die Moskauer Vorstadt beispielsweise ist wie eine Reise in eine andere Welt: In diesem Viertel lebten im 19. und frühen 20. Jahrhundert vor allem Russen und Juden. Typisch sind die Holzhäuser, viele über 100 Jahre alt, von denen einige inzwischen wieder in passablem Zustand sind.

Das Hochhaus am Rand der Moskauer Vorstadt, in dem die Akademie der Wissenschaften untergebracht ist, ist noch nicht ganz so alt: Es stammt aus dem Jahr 1958 und hat den Spitznamen Stalins Geburtstagstorte. Eigentlich sollte es ein Geschenk an die lettischen Kolchosebauern sein, wurde aber erst nach Stalins Tod fertig und dann gleich anderweitig genutzt.

Heute ist es vor allem wegen der Aussichtsplattform in 65 Metern Höhe ein beliebtes Ziel, zu der man mit dem Aufzug hochfahren kann. Der Blick von oben ist eindrucksvoll - man sieht fast über die ganze Stadt, auf die Daugava und auf das „Schloss des Lichts“.

Am Ufer des Flusses stehen noch fast bewegungslos die Männer, die dort schon seit dem frühen Vormittag ausharren. Aber was sie so fasziniert, ist wohl doch nicht der Blick auf die Nationalbibliothek. Und das Kulturhauptstadtjahr interessiert sie womöglich noch viel weniger. Die Herren, die dort in fast meditativer Ruhe in Reih und Glied warten, haben alle eine Angel vor sich, mancher auch einen Eimer. Was für sie zählt, ist vor allem, ob darin möglichst bald ein möglichst dicker Fisch zappelt - Kulturhauptstadtjahr hin oder her.

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