Marokko: Wenn der Muezzin zum Skifahren ruft

Zwischen der Sahara und dem Atlantik lockt das Atlas-Gebirge mit einsamen Skitouren, Pulverschnee und orientalischem Zauber.

Marokko: Wenn der Muezzin zum Skifahren ruft
Foto: dpa/Manuel Meyer

Düsseldorf. Ungläubig werden Siggi, Manfred und Egbert mit ihrer Skitourenausrüstung am Münchener Flughafen von anderen Passagieren in Augenschein genommen. Auf der Anzeige des Check-in-Schalters steht Marrakesch. Skifahren in Nordafrika? Die müssen sich in der Schlange geirrt haben. Beim Landeanflug geht vielen ein Licht auf: Majestätisch erheben sich rund 80 Kilometer südlich von Marrakesch die schneebedeckten Gipfel des Atlas-Gebirges.

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„Marokko und Skifahren bringen selbst erfahrene Skitourengeher selten in Verbindung. Dabei findet man hier anspruchsvolle Gipfel und einsame, traumhaft schöne Landschaften“, versichert Hans Honold, der mit seiner Berg- und Skischule Alpine Welten zu den wenigen Anbietern von Skitouren ins Atlas-Gebirge gehört. Mit dem Minibus geht es ins Berberdorf Tacheddirt. Von hier aus wollen Hans und sein lokaler Guide Hassim eine kleine Tour zum „Eingehen“ unternehmen.

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Schnell wird den Teilnehmern bewusst, dass Skitouren in Marokko nicht nur exotisch, sondern auch anspruchsvoll sind. Bis auf den 3555 Meter hohen Gipfel des Tizi Likemt müssen fast 1200 Höhenmeter überwunden werden. Eiskalt fegt der Saharawind ins Gesicht und färbt die unberührten Schneefelder mit Wüstensand rosarot. Eisflächen und Steine fordern auch bei der Abfahrt einiges Geschick.

Am Abend erholt sich die Gruppe im rustikalen Dorfhotel bei Couscous mit Lamm, Gemüse und Kichererbsen vor dem Kamin. Da Marokko ein muslimisches Land ist, gibt es zum Après-Ski keinen Alkohol, sondern frischen, stark gezuckerten Pfefferminztee. „Wir nennen ihn Berberwhisky“, sagt Skiführer Hassim, der selbst zum Volk der Berber gehört.

Die Nacht ist bitterkalt. In marokkanischen Hütten gibt es keine Heizungen. Mit seinem Morgengebet holt der Muezzin die Truppe aus den Daunenschlafsäcken. Der Gebetsgruß knattert aus dem alten Lautsprecher am Minarett. Abdullahs Maultiere bringen Skischuhe und Skier bis zur Schneegrenze. Zunächst geht es vorbei an Obstgärten mit blühenden Walnussbäumen, dann durch Geröll, bis endlich die Skier angezogen werden können. Steil geht es durch eine verschneite Rinne mit Spitzkehren bergauf. Harsch-Eisen müssen angelegt werden. Die Felle unter den Skiern quietschen. Plötzlich ziehen sich oben Wolken zusammen. Vom 3882 Meter hohen Bou Igouenouane ist nichts mehr zu sehen. Die Gipfelbesteigung muss abgebrochen werden.

Somit bleibt mehr Zeit für Tacheddirt. Es ist ein marokkanisches Bergdorf wie aus dem Bilderbuch, nicht schön, aber authentisch. Die Lehm- und Steinhütten liegen dicht am Steilhang. Frauen fegen den Schnee von den Flachdächern. Gerade einmal 700 Menschen leben hier von Viehhaltung oder Ackerbau. In Marrakesch verkaufen sie Kirschen, Nüsse, Äpfel und Mandeln, die sie auf terrassenartigen Plantagen züchten. Die deutschen Besucher in ihrer Funktionskleidung sind die Hauptattraktion für die Dorfkinder.

Mohamed lädt die Besucher zu sich nach Hause ein. Die Lehmhütte ist bescheiden. An der Decke hängt ein halbes Lamm. Die Familie besitzt nicht viel, doch die Gastfreundschaft ist überwältigend. Hans und die anderen setzen sich auf die Matratzen, nehmen dankend einen heißen Pfefferminztee und versuchen, sich mit Händen und Füßen zu verständigen.

Am nächsten Tag geht es nach Imlil. Als Eingangstor zum 4167 Metern hohen Jebel Toubkal ist die kleine Ortschaft seit Jahrzehnten Ausgangspunkt für Trekking- und neuerdings auch Skitouren. Die Maultiere gehen mit der Skiausrüstung und dem restlichen Gepäck voraus. Fast fünf Stunden dauert der Aufstieg zur eingeschneiten Toubkal-Hütte auf 3150 Metern Höhe durch ein atemberaubend schönes Bergtal. Die Toubkal-Hütte ist vollkommen überfüllt.

Hassim, Skiführer

Vor Sonnenaufgang weckt Hans seine Gruppe. Über den Mizane-Bach beginnt der steile Anstieg auf den Gipfel. Es ist bitterkalt, aber es liegt Neuschnee, und der Himmel ist wolkenlos. Durch eine Rinne geht es im Zickzack bergauf. Nach einem flacheren Plateau wählt Hans einen steileren, aber kürzeren Weg über den Südgrat zum Gipfel. Erbarmungslos brennt die Sonne. Der Wind bläst eiskalt und schmerzt im Gesicht. Knapp 100 Höhenmeter vor dem Gipfel schnallt die Gruppe Skier und Lawinenausrüstung ab und geht zu Fuß durch die vereiste Steinlandschaft.

Am Gipfelkreuz herrscht plötzlich Windstille. Der Ausblick über die umliegenden Berge und das Wolkenmeer ist fantastisch. „Bei ganz klarem Wetter kann man sogar die Sahara und den Atlantik gleichzeitig sehen“, versichert Hassim. Am nächsten Tag geht es auf der anderen Talseite erst mit Skiern und dann mit Steigeisen auf den 4083 Meter hohen Gipfel des Ras N’Ouanoukrim. Der Aufstieg ist schwer, doch die Belohnung umso größer: Im kniehohen Pulverschnee schwingen sich Siggi, Manfred und Egbert durch spektakuläre Rinnen wieder hinab zur Toubkal-Hütte.

Der Abschied aus dem Atlas-Gebirge fällt nicht leicht. Doch Marrakesch wartet mit seinen verwinkelten Altstadtgassen, orientalischen Basaren, Sultan-Palästen und Koranschulen. Auf dem Hauptplatz Djemaa el Fna trommeln sich Musiker in Ekstase. Schlangenbeschwörer, Teppichverkäufer, Zauberer und Gaukler mit dressierten Affen sorgen für orientalisches Ambiente wie aus 1001 Nacht. „Unvergesslich. So einen Skitourenurlaub macht man nicht alle Tage“, sagt Siggi und nippt an einem letzten Berberwhisky.

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