Monte Verità: Ein Hügel voll Utopie

Ein Wuppertaler rettete einst den Monte Verità im Tessin.

Düsseldorf. „Welcher ist wohl der geheimnisvolle Monte Verità?“ denken wir, als sich das Schiff Ascona nähert. Zum Glück gehört dieser „Berg der Wahrheit“, unser Ziel, nicht zu den hohen Schneegipfeln hinter dem hübschen Städtchen am Lago Maggiore. Nein, der Monte Verità ist ein bewaldeter Hügel. Spektakuläres trug sich hier zwischen 1900 und 1920 zu.

Dort oben sammelten sich einst Pazifisten und Revoluzzer, Freigeister und Psychoanalytiker, Maler und Musiker, Dichter und Denker und probten den gewaltfreien Protest gegen das „Establishment“. Zurück zur Natur — das war die Devise, zurück zum einfachen Leben.

Nackt liefen diese ersten Alternativen, zumeist Männer, dort oben herum, errichteten Hütten, duschten im Freien und bauten Obst und Gemüse an. Sie diskutierten über die Zukunft, praktizierten die freie Liebe und verwirklichten ihr eigenes Utopia. Doch nach dem Ersten Weltkrieg war die Kommune pleite.

Zu Fuß wollen wir auf den Monte Verità, doch beim Anstieg über 400 steile Treppenstufen schlägt erst einmal für uns Wanderer die Stunde der Wahrheit: Die Sonne brennt, eine marmorne Schöne am Wegesrand streift gerade ihr Gewand ab. Auch wir würden uns gern die Klamotten vom Leibe reißen. Nach weiteren Stufen durch ein Waldstück begrüßt uns oben ein frisches Lüftchen und eine harmonisch gerundete Bronzeplastik von Hans Arp namens „Roue oriflamme“.

Erschöpft fallen wir auf Bänke und Rasen. Welch himmlische Ruhe! Dass dort oben noch einiges erhalten blieb und man auch komfortabel übernachten kann, ist dem in Wuppertal-Elberfeld geborenen Bankier Eduard von der Heydt (1882-1964) zu verdanken. Im Jahr 1926 erwarb er für 160 000 Franken den Berg samt Inventar und ließ dort von Emil Fahrenkamp ein Hotel im Bauhausstil errichten.

Der belgische König Leopold, Gustav Stresemann und Konrad Adenauer kamen, ebenso die Künstler Richard Strauss, Paul Klee, Hermann Hesse, Gerhart Hauptmann und Else Lasker-Schüler. Die Ausdruckstänzerinnen Mary Wigman und Isadora Duncan ließen sich dort inspirieren. Tanztheater-Königin Pina Bausch setzte diesen Weg fort.

Eduard von der Heydt, auch Schweizer Staatsbürger, wurde nach Kriegsende wegen nachrichtendienstlicher Tätigkeit für die Nazis angeklagt, jedoch bald freigesprochen. Sein Ruf als Kunstsammler und Mäzen litt nicht darunter. Nach ihm und seiner Kunst fördernden Familie ist Wuppertals wichtigster Kulturpreis benannt.

In seinem Testament vermachte er den Monte Verità dem Kanton Tessin — mit der Maßgabe, ihn kulturell zu nutzen. So blieb das wichtigste Werk der Alternativen erhalten, das „Elisarion“, ein riesiges Rundgemälde des Elisàr von Kupffer. Dieser schuf ein romantisch verklärtes, fast jugendfreies Bild homo-erotischer Beziehungen. Das Original soll 2014 auf dem Monte Verità zu sehen sein.

Inzwischen ist dieser Berg wieder eine Stätte der Begegnung. Urlauber quartieren sich in dem komplett renovierten Hotel ein, Kongresse werden abgehalten, ein Teehaus offeriert eigene Ernte vom Monte Verità.

Eine ähnliche Kraft spüren wir auch in Ascona, in der Kirche S. Maria della Misericordia, vor dem kostbaren spätgotischen Freskenzyklus. Auch Kunstkenner Eduard von der Heydt dürfte ihn bestaunt haben. Eins der Bilder zeigt einen beinahe bäuerlichen Jesus, der als Auferstandener die nackten Sünder erlöst.

Perfekt zum Krafttanken sind auch die Brissago-Inseln gegenüber von Ascona. Die größere, Isola Grande, erwarb 1927 der Hamburger „Kaufhauskönig“ Max Emden (1874-1940) von der Baronin Antoinette Saint-Léger und baute sich einen Palazzo.

Inzwischen präsentiert sich die Insel als traumhaft schöner botanischer Garten mit bronzenen Beauties unter Palmen. In dem zum Hotel umgewandelten Palazzo können die Gäste essen, übernachten oder heiraten.

Zum wahren Kraftspender wird jedoch das noch immer wilde Verzasca-Tal. Durch enge Serpentinen müht sich der Postbus bergan.

In Lavertezzo unterbrechen wir die Fahrt. Mit gewaltiger Energie bahnt sich hier der Verzasca-Fluss den Weg durch glatt geschliffene Felsen.

Welch eine Kraft steckt in den kantigen Granitschindeln, die die Dächer decken.

Kräfte, die uns offenbar zuwachsen, so locker wandern wir vom 918 Meter hoch gelegenen Sonogno auf dem „Sentiero Verzasca 74“ talwärts von Bergdorf zu Bergdorf.

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