Orlando: Per Boot zu Mr. und Mrs. Rich

Der Ort am Stadtrand von Orlando ist die Heimat vieler Superreicher. Ein Ausflug dorthin ist wie eine Reise in eine andere Welt.

Langsam gleitet das Boot durch den engen Kanal, dessen steinerne Ufer uralte Bäume säumen. In winzigen Wellen schwappt das Wasser an die Mauern der Grundstücke, zwischen denen sich die Ausflugsschiffchen den ganzen Tag hindurchschlängeln. Dann gibt es auch keine Mikrofondurchsagen, der Bootsführer verstummt für ein paar Minuten. Die zehn Passagiere an Bord bestaunen die Szenerie: meterhohe Bäume, deren Äste und Kronen mit Spanish Moss bewachsen sind, das wie grau-silbriges Haar hinunterhängt und gespenstisch wirkt. Irgendwo auf einem Stein am Rand sonnt sich eine Schlange, die sattgrünen Wiesen dahinter gehören zu traumhaft schönen Gärten — und die wiederum zu gigantischen Villen. Winter Park, das historische Fleckchen am nördlichen Stadtrand von Orlando, hat vor allem eines: Geld.

Einst kamen die Reichen hierher, um dem Winter zu entfliehen. Seit 1882 wohnen hier Millionäre, bauten sich stattliche Anwesen. Schon bald waren die Ufer der Seen besiedelt mit Herrenhäusern, eins beeindruckender als das andere. „Manche haben ihren eigenen Golfplatz“, erzählt William, der Bootsführer. Der 69-Jährige schippert schon seit vielen Jahren Touristen über drei der sieben Seen, die durch Kanäle miteinander verbunden sind.

Einige Paddleboarder üben in Ufernähe, sich auf dem Brett zu halten. Sogar Yogakurse werden auf den Paddleboards angeboten. Entspannung mit einer Prise Abenteuer, denn Alligatoren gibt es überall in Orlando. Ein Ehepaar präpariert sein strahlend weißes Boot mit Angeln, selbstverständlich besitzt hier jeder seine eigene Anlegestelle und eine Garage fürs Boot. Auch in den Kanälen schaukeln Besucher nur einen knappen Meter neben diesen Einstellplätzen vorbei, manche haben das Tor geöffnet und lassen neidische Blicke auf kleine Sportboote hinein.

„Tom Hanks hat hier gedreht“, zeigt William auf ein hellbraunes Anwesen, umgeben von dichtem Grün. „Und da drüben wohnen Mr. und Mrs. Rich“, sagt er grinsend. Nicht zum ersten Mal übrigens, denn am Lake Osceola wohnen eigentlich nur Mr. und Mrs. Rich. Doch manche sind eben noch privilegierter als andere, haben zum Beispiel ein Haus auf einer Landzunge im See mit Strand zu fast allen Seiten. Und feinstem Sand, der extra aus Miami angeliefert wurde.

Die Scenic Boat Tour führt eine Stunde lang an geballtem Reichtum vorbei. „Hier ist richtig alter Geldadel“, träumt William auf dem dümpelnden Boot vor sich hin und lässt die sprachlosen Passagiere noch ein Weilchen die stillen Ufer mit ihren pompösen Villen genießen. Zypressen, riesige Bambusbäume und Papaya wachsen in den Gärten.

Wer es geschafft hat, wohnt direkt am See, beinahe Mitleid hat man mit den Besitzern der prunkvollen Häuser in der zweiten Reihe. Kein Seeblick, keine Garage fürs Boot, keine zehn Millionen Dollar fürs Anwesen gehabt? Dass die Superreichen auch gern unter sich bleiben, zeigt sich am eigenen College von Winter Park — natürlich ebenfalls direkt am See gelegen.

Im Jahr 1885 gegründet, ist es die älteste Universität Floridas. Nancy Decker ist seit 26 Jahren Dozentin in dem im mediterranen Stil erbauten College. Die 57-Jährige ist Professorin für Deutsch und leitet die Abteilung für moderne Sprache und Literatur. „Es ist schon skurril, wenn man als Lehrkraft seinen Ford neben dem Ferrari eines Studenten parkt“, erzählt sie lachend. „Wir haben nur einen Parkplatz und es ist ein bisschen wie verkehrte Welt.“

Nancy Decker ist an den Reichtum ihrer Studenten und den Einfluss deren Eltern gewöhnt. „Man muss einfach wissen, wie sie ticken. Dann funktioniert es.“ Sie hat lange in Deutschland gelebt, mit ihrem verstorbenen Mann wohnte sie in Münster und Paderborn. „Ich habe in Deutschland studiert, was nicht nur geholfen hat, die Sprache besser zu lernen“, erzählt sie in akzentfreiem Deutsch. „Ich habe die Kultur verstanden — und mich sehr wohl gefühlt.“

Nancy denkt gern an ihre Studentenzeit zurück. „Hier bestimmen auch die Studenten das Leben der Stadt. Aber ganz anders als in deutschen Universitätsstädten. Man hat immer das Gefühl, die Studenten hätten die Dienstleistung der Professoren gekauft.“ Immerhin kostet die Uni 56.000 Dollar pro Jahr.

Nancy verbringt ihre freie Zeit gern in dem etwas verschlafen wirkenden Winter Park, plant, demnächst in eine Wohnung dorthin umzuziehen und ihr Haus einige Kilometer außerhalb zu verkaufen. Denn Winter Park hat auf seiner Park Avenue einiges zu bieten. „Die kleinen Läden und Boutiquen finde ich schön, vor allem, wenn sie etwas Außergewöhnliches verkaufen.“ Teuer sind sie jedenfalls alle, von Kleidung über Schuhe und Accessoires bis hin zur selbst gemachten Schokolade. Gleich daneben duften Rosen aus dem Central Park, einer gepflegten Grünanlage im Herzen des Ortes. Klein und schnuckelig wie alles in Winter Park — ein irgendwie unamerikanisches Bild.

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