Venedig: Signore Mario, der Maskenmann

Hausbesuch bei Herrn Belloni, der die berühmten Karnevalsmasken noch in Handarbeit herstellt.

Düsseldorf. Tom Cruise hat eine gekauft. Und eine Zweite zum Wechseln. Obwohl er gerade nicht von feindlichen Agenten gejagt wurde und Tarnung dringend gebraucht hätte. Es surrte auch keine Filmkamera, kein Scheinwerfer strahlte, niemand rief „Action“.

Der Kinostar aus Hollywood war ganz privat in Venedig und wollte ein paar Masken haben. Nicht irgendeine aus der Grabbelkiste mit „Made in China“ drauf, auch keine von den Plastikdingern aus Albanien. Er wollte eine Handgemachte von Mario Belloni.

Und so ging er über ein paar Dutzend Brücken, bog dreimal falsch ab, verlief sich, fand zurück, versuchte es erneut und schlüpfte schließlich durch die schmale Tür in den kleinen Laden im Dorsoduro-Viertel, wählte aus, zahlte mit Kreditkarte und verschwand wieder im Gewühl der Gassen. Er hatte sich so über die Shopping-Ausbeute gefreut, dass er Signore Belloni noch schnell ein Autogramm da ließ. Das hängt heute gerahmt im Schaufenster. Dabei hatte Venedigs Maskenmann damals gar nicht gewusst, mit wem er es zu tun hatte.

Mario Belloni lacht heute darüber, wenn er die Anekdote erzählt und zugleich kaum aufschaut. Voller Tempo klebt, knickt und walzt er Wollfilzpapier Schicht über Schicht auf einen Rohling, bis daraus wieder eine dieser schmalen Masken geworden ist, die man vor Augen und Nase befestigt. Solche, die nie das ganze Gesicht bedecken.

Sie sind Inbegriff des stillen Karnevals von Venedig, wo es nicht um Tanzen und Singen, um Umzugswagen und Kamellenregen geht, sondern ums Künstlerische, Sinnliche. Es geht um die Ästhetik des Augenblicks. Und immer in dieser dem Untergang geweihten Stadt mit ihren wiederkehrenden Überflutungen und den Palazzi auf maroden Stelzen im Lagunenwasser auch um Melancholie.

Wer in Venedig den Karneval mitfeiert, einen Tag lang mit glitzerndem Umhang, Rüschenhemd und vor allem der Maske über die Rialto-Brücke, den Markusplatz und vorbei am Dogenpalast Richtung Canal Grande flaniert, der geht nicht als Pirat, Cowboy oder Clown, sondern als Phantom, als flüchtiger Moment, als Gruß aus einer anderen Zeit.

„Unsere Masken“, sagt Mario Belloni, „befeuern die Fantasie. Sie lassen Raum für ihre Gedanken, dem Betrachter und dem, der sie trägt. Dabei ist unser Karneval eine Erfindung. Eine schöne Idee aus der Gegenwart.“ Tatsächlich: Erst zu Beginn der 80er Jahre wurde eine Tradition gezielt wiederbelebt und auf die Faschingstage zugespitzt, um eine Touristenattraktion für die auslastungsschwache Zeit zu schaffen — ehe der Frühling beginnt und Urlauber sich wieder für die Stadt mit dem Markuslöwen im Wappen zu interessieren begannen.

Die kühne Idee wurde schnell zu einem Riesenerfolg. Auch zum Vorteil von Leuten wie Mario Belloni, die in traditioneller Technik Masken mit Hakennase, spitzem Mund und geschwungenen Augenbrauen erschaffen und an Bemalerinnen weiterreichen, die mit feinem Pinsel die Kunstwerke vollenden, jedes ein Unikat.

Aus der Luft gegriffen ist die Idee mit Fasching und Masken gleichwohl nicht. In Venedig war es im 17. und 18. Jahrhundert Sitte, sich während der Zeit von Oktober bis in den Frühling hinein genauso zu maskieren. Erst beim Theaterbesuch, dann auch auf den Straßen. Und bei Besuchen im Spielkasino war es sogar Vorschrift, das Gesicht zu verbergen und so wenigstens einen Hauch von Zweifel über die eigene Identität zu legen. Dabei wurden die Masken befestigt, indem sie unter die Vorderkante des Huts geschoben wurden.

Fremde erkannte man daran, dass sie im Reflex zum Gruß den Hut anhoben und ihre Maske prompt herunterfiel. Einheimische hingegen nickten zum Gruß nur leicht mit dem Kopf, um hinter ihrem Sichtschutz verborgen zu bleiben. Der Zauber endete jäh mit der Herrschaft der Habsburger über Venetien. Sie verboten jedwede Maskerade, und der Brauch geriet bis zur Wiedererweckung vor kaum mehr als 30 Jahren in Vergessenheit.

Was einst fast ein halbes Jahr lang praktiziert wurde und nicht unmittelbar etwas mit den Faschingstagen zu tun hatte, kulminiert nun stets vor Aschermittwoch. Allenthalben laufen Menschen mit Masken durch die Stadt, drehen sich Phantome auf den Brücken über die zahllosen Kanäle vor den Augen der vielen Betrachter und vor ihren Fotoapparaten. Schließlich könnte einer davon Tom Cruise sein.

Besuch aus Hollywood war neulich wieder im Laden: Leonardo di Caprio kam rein, weil er die Unterschrift von Tom Cruise im Schaufenster gesehen hat. Was der Kollegen denn mitgenommen habe, wollte er wissen — und kaufte ebenfalls im Maskenladen ein. Er ließ einen unterschriebenen Zettel da, der nun auch aushängt. Werbung, falls mal wieder einer aus Hollywood vorbeiläuft.

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