Trendelburg: Kuscheln im Rapunzelturm

Die Gebrüder Grimm haben die Trendelburg berühmt gemacht. Ein Hotel wirbt mit dem „schönsten Kind“.

Trendelburg. Schweigen ist Gold, Reden dagegen nur Silber. Das gilt überall und in Hotels ganz besonders. Und über Verbrechen, die im Haus geschehen, redet man erst recht nicht. Alles andere wäre schädlich.

Auf der Trendelburg in der äußersten Nord-Ost-Ecke Hessens hält sich niemand an diese goldene Branchenregel. Diese Burg aus dem 11. Jahrhundert, hoch über der Flussbiegung der Diemel gelegen, ist Tatort eines abscheulichen Verbrechens, das seit mehr als 200 Jahren nicht nur Kinder erschreckt. Mit dieser Freveltat wird sogar für das Burghotel geworben.

Ein Mädchen, von dem es hieß, es sei „das schönste Kind unter der Sonne“, wurde von einer Zauberin jahrelang im Burgturm weggesperrt. Einsam und allein musste es in seinem Verlies, zu dem es „weder Treppe noch Tür“ gab, warten, bis seine Peinigerin mal wieder laut rief: „Rapunzel, Rapunzel, lass’ mir Dein Haar herunter“. Dann ließ Rapunzel, so hieß das schöne Kind, ihren 20 Ellen langen Blondzopf an der Turmwand herunterhängen, und die böse Frau kletterte daran hinauf.

Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm berichten von diesen Geschehnissen und sparen im Rapunzel-Märchen nicht mit Details. So kam man im Weserbergland darauf, dass Rapunzel im Eckturm der Trendelburg gefangen gehalten wurde. Dafür spricht, dass die Gebrüder Grimm in dieser Gegend zeitweise gelebt und gearbeitet haben. Sie kannten sich also aus.

Das Trendelburg-Hotel wirbt entsprechend damit, eine „Märchenburg“ zu sein. Gleich mehrere Veranstaltungen erinnern auf dem Burgberg an die Zauberin, das bezaubernde Mädchen Rapunzel und — selbstredend — an den Königssohn, der für den guten Ausgang des Märchens gebraucht wird.

Das ist man der Lage schuldig, der zur Burg gehörende Ort Trendelburg liegt in der Mitte der „Deutschen Märchenstraße“. Vom Mädchen Rapunzel ist es etwa gleich weit zu den Bremer Stadtmusikanten an ihrem einen und zum Gestiefelten Kater am anderen Ende.

Zu Burgen gehören Burgbesichtigungen. Auf der Rapunzelburg ist das nicht anders. Dass es im Rapunzelturm bequeme Treppen gibt, irritiert niemanden. Auch Hotel-Burgen werden ständig modernisiert und umgebaut. Und für Märchen gilt ohnehin: „Es war einmal.“

Das Rapunzelgefängnis ist die Attraktion des „Hotel Burg Trendelburg“ Das turmrunde Rapunzelzimmer wird gern für Hochzeiten gebucht. Darauf ist die Burg ohnehin spezialisiert. Ein Standesbeamter und Geistliche kommen auf Bestellung, damit nicht nur amtlich, sondern auch kirchlich hier oben über der Diemel geheiratet werden kann. Selbst wer einen romantischen Rahmen für einen Heiratsantrag sucht, kann sich auf die Hoteldirektion verlassen. Auch hierfür gibt es Arrangements.

Von übertriebener Romantik aber muss abgeraten werden. Das schönste Bett im gesamten Haus wird unter Spezialisten für antike Möbel wegen seiner wertvollen Schnitzarbeiten und seines Alters hoch geschätzt, schließlich stammt es aus dem Jahr 1783. Ob man darin wirklich kuscheln will, sollte man sich gut überlegen. Um mit 1,40 auf 1,90 Meter in der Nacht zurechtzukommen, muss sich ein Paar schon sehr, sehr lieb haben.

Burgen wurden nicht als Hotel geplant, noch vor 60 Jahren war sie Sitz einer Adelsfamilie. Daraus ein Hotel der Viersterneklasse zu machen, war eine Herausforderung. Es galt, den Charakter einer Ritterburg aus dem 11. Jahrhundert zu bewahren und dennoch modernen Komfort zu bieten.

Im Zusammenwirken von alten Handwerkstechniken, wie sie in dieser Gegend noch bekannt sind, und modernen Materialien entstanden 22 komfortable Zimmer — fünf davon im Rapunzelturm. Fensterhöhlen sind bei meterdicken Bruchsteinmauern ein Problem.

Hier wurden in den Räumen Sitz- und Leseecken mit antiken Möbeln eingerichtet. Auch sonst mussten unkonventionelle Lösungen gefunden werden. In einigen Zimmern scheint es kein Bad zu geben. Das täuscht, die mittlere Tür des Einbauschranks öffnet sich zum Sanitärbereich.

Zur Trendelburg hinauf fährt man auch wegen der Kaffee- und Kuchenterrasse und der Aussicht von hier auf das Tal der Diemel. Die Kellergewölbe unter der Burg werden für alle geöffnet, die die „mittelalterlich-märchenhafte Führung durch die „Märchenburg“ vorbei an den Wandvertäfelungen aus alter Mooreiche samt Rittermahl gebucht haben, das mit traditionellem „Pfotenwaschen“ beginnt.

Das Bier wird aus des Ochsen Horn getrunken. Knechte und Mägde schaffen eifrig geschmorte Haxen eines Schweins mit dunkler Sauce von Schwarzbier und Pumpernickel herbei.

Allerdings: Ritter Dietrich sollte sich zum Begleitprogramm bei Tische etwas mehr einfallen lassen. Meist sorgt nur der CD-Player mit alter Musik für Unterhaltung, etwas wenig für die 36,50 Euro (für Erwachsene, Kinder zahlen je nach Alter die Hälfte oder essen gratis mit), auch wenn ein erklärender Rundgang durch die Straßen unterhalb der Burg zu Beginn im Preis inbegriffen ist.

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