Eine aufgesäbelte Fingerkuppe und ein Outback-Krankenhaus von innen

Katherine. Fast hätte ich es geschafft. Eine ganze Saison als Cowgirl in Australien unbeschadet überstanden - bis auf ein paar blaue Flecken, Quetschungen, Schnitte. Und dann ist es doch passiert.

Die Wunde wurde mit acht Stichen genäht - während der Arzt dabei Witze machte.

Die Wunde wurde mit acht Stichen genäht - während der Arzt dabei Witze machte.

Foto: Juliane Kinast

Naja, wenn man auf Abenteuerreise ist, sollte man vermutlich alles als Teil des Erlebnisses betrachten. Also mal positiv ausgedrückt: Ich durfte mal ein Outback-Krankenhaus von innen sehen.

Aber von Anfang an. Wir haben an diesem Morgen Jungrinder gedraftet. Das hat mich wohl am allermeisten geärgert: Wie viele riesige Bullen haben mir in den vergangenen Monaten nach dem Leben getrachtet. Und in die Klinik befördert hat mich letztlich ein weißes Babyrind, das mir gerade mal bis zur Hüfte reichte. Im Race, dem Gittergang, in dem wir die Tiere "sortieren", hat der kleine Bulle versucht, sich umzudrehen. Und ich habe zugepackt, um seinen Kopf zu fassen. Da hat er zugestoßen. Und meinen rechten Zeigefinger zwischen seinem winzigen Horn und dem Metall des Race zerquetscht.

Ich habe ziemlich blöd in die Runde geschaut und nur gesagt: "Oh, ich glaube, ich hab' mir den Finger gebrochen." Im Nachhinein irgendwie lustig. Ich hatte noch nie zuvor einen Knochenbruch. Aber das Knacksen hat mir sofort alles verraten. Erst danach habe ich mich über all das Blut auf meiner Hand gewundert und registriert, dass der kleine Teufel mir die Fingerkuppe hübsch aufgesäbelt hatte.

Nach der Desinfektion - im Outback bedeutet das, Wasser aus der Pumpe über die Wunde laufen zu lassen - beschloss Chefin Cheryl, dass ich ins Krankenhaus nach Katherine muss. Also: Taschentuch um den Finger wickeln, fest drücken - und dann vier Stunden über die rumpelige Schotterpiste in die Stadt. Angenehm ist anders.

Ich weiß nicht warum. Vielleicht bin ich inzwischen einfach zu tiefenentspannt durch all die Erfahrungen hier draußen. Aber der Rest des Tages war einfach große Klasse. Mag auch daran liegen, dass das Personal des kleinen Hospitals in Katherine offenbar aus den freundlichsten Menschen des Staates zusammengewürfelt wurde. Ich hatte die netteste Plauderei mit der asiatischen Lady, die meinen Finger geröntgt hat. Und dann eine noch viel nettere Plauderei mit Krankenschwester Katie, die mich höflich fragte, was ich denn angestellt hätte, und sehr große Augen machte, als ich erklärte, mein Finger sei zwischen ein Rind und den Zaun geraten.

Also erzählte ich ihr von der Cattle Station. Und da lachte sie: "Das muss ich den Kollegen sofort sagen. Wir haben uns nämlich alle schon gefragt, was das europäische Mädchen hier macht - und warum es so schrecklich schmutzig ist!" Erst da fiel mir auf, dass ich noch immer meine Arbeitsklamotten trug und nicht einmal das Gesicht gewaschen hatte. Ich kann verraten: Man sieht den Grad der eigenen Verschmutzung, wenn man im Busch arbeitet, in einem völlig neuen Licht, wenn man in einem weiß gekachelten und beleuchteten Bad vor dem Spiegel steht...

Ebenso reizend wie Katie war mein Doktor Christoph - Höflichkeitsformeln und Nachnamen gibt es in dieser Welt nicht. Er war so besorgt über die Beweglichkeit meines Fingers, dass er einen plastischen Chirurgen in Darwin konsultierte - per Smartphone-Foto meines Schnittes. Dann lächelte er milde und verständnisvoll, als er diverse antiseptische Tücher brauchte, um den Outback-Schmutz rund um die Wunde zu entfernen. Und witzelte die ganze Zeit, in der er das Malheur mit acht Stichen verschloss.

Der echte Schock des Tages kam dann, als mich Kollegin Sarah abholte und ich sie fragte, ob wir denn jetzt schnurstracks in den Pub fahren könnten. Katies Kopf schoss sofort um die Ecke: "Du kannst nicht in den Pub. Ich habe dir gerade in dem Tropf ein Breitband-Antibiotikum gegeben, bei dem dir in Verbindung mit Alkohol speiübel wird." Was?! Endlich in der Stadt und nicht mal ein kühles Bier aus einem echten Glas? Meine Enttäuschung war immens - und flaute erst ab, als ich stattdessen ein Eis mit Sahne aß. Immerhin auch etwas, das ich auf der Cattle Station niemals bekommen könnte.

Inzwischen sind die Fäden raus. Gezogen von Jackeroo Cornelius, der mich davor noch warnte: "Ich weiß nicht so wirklich, was ich hier tue - aber die Hunde, denen ich bisher Fäden gezogen habe, haben sich nie beklagt." Da musste ich durch. Für so eine Lappalie extra wieder in die Stadt fahren? Dazu bin ich ja schon viel zu sehr Australien! Aber falls Katie und Christoph das hier je lesen: Lieben Gruß und danke!

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