VIP-Platz für letzte Ruhe: Jüdischer Friedhof am Ölberg

Jerusalem (dpa/tmn) - Der Ölberg ist der größte jüdische Friedhof der Welt. Dass sich von den mehr als 70 000 Gräbern die Altstadt mit allen Heiligtümern überblicken lässt, ist kein Zufall, sondern folgt dem Masterplan für das Ende der Welt: der Ankunft des Messias.

Suleiman wartet auf ihn. Jeden Tag. Seit mehr als 60 Jahren. Er weiß nicht, wann der Messias kommen wird, aber eines ist sicher: Er wird über den Ölberg kommen und von hier mit all den auferstandenen Toten in die Jerusalemer Altstadt einziehen. So steht es im Alten Testament. Bis es soweit ist, lässt sich Suleiman mit seinem weißen Esel gegen ein Trinkgeld fotografieren.

Täglich ergießen sich Ströme von Besuchern über die biblischen Orte des Ölbergs wie den Garten Gethsemane, wo Judas Jesus verraten haben soll. Immer entlang einer niedrigen Mauer schlängeln sie sich den schmalen, steilen Weg hinauf. Hinter der Mauer liegen totenstill und blendend weiß die Gräber des jüdischen Friedhofs.

Die Steinwüste bedeckt die Hänge des Ölbergs. Von der Spitze bis zum Fuß erstreckt sich das steinerne Meer über die Hänge. Die meisten Grabplatten liegen flach auf den Ruhestätten, um den Blick auf Jerusalem, die heilige Stadt, nicht zu verdecken. Kein Vogelgezwitscher ist zu hören. Kein Baum spendet Schatten. Nur der Wind pfeift über die Gräber.

Ab und zu bahnen sich strenggläubige, schwarzgekleidete Juden mit Schläfenlocken einen Weg durch die steinerne Landschaft. Wer ein bestimmtes Grab sucht, muss sich auskennen. Es gibt keine Wege, die Schriften auf den Steinen sind ausgeblichen und verwittert, viele Grabplatten zerbrochen. Manche der Steine stammen aus dem 16. Jahrhundert.

Anders als im Christentum werden jüdische Tote nicht aufgebahrt, sondern so schnell wie möglich beerdigt - und auch nicht in einem Sarg, sondern nackt in ein Leichentuch gewickelt. „Ein Sarg würde den ewigen Kreislauf Mensch-Erde nur behindern“, erklärt Ruth Eisenstein, eine Israelin, die Besucher durch ihre Heimatstadt Jerusalem führt.

Statt Blumen liegen Steine auf den Gräbern. Manche faustgroß, andere so klein wie Murmeln. „Wer ein Grab besucht, legt einen Stein darauf, als Zeichen dafür, dass er hier war“, sagt Eisenstein. Der Brauch stamme aus einer Zeit, als die Juden noch ein Wüstenvolk waren und die Gräber so markierten und vor wilden Tieren schützten.

Schon seit Jahrtausenden, noch bevor König David 1005 vor Christus Jerusalem eroberte, werden am Ölberg die Toten beerdigt. Der Kalkstein hier macht es leicht, Gräber auszuheben.

Gräber mit VIP-Status: „Jeder Jude will hier begraben sein“, sagt Eisenstein. „Dann ist er am Jüngsten Tag sofort zur Stelle.“ Während sich die Toten auf anderen Friedhöfen der Welt zur Ankunft des Messias erst durch die Erde graben müssten, so der Volksglaube, seien die Toten am Ölberg schon da. Entsprechend voll ist der Friedhof.

Zum Sonnenuntergang versammeln sich Busladungen von Touristen vor dem Hotel „Seven Arches“ auf der Spitze des Ölbergs, den Fotoapparat im Anschlag. Von hier aus hat man den perfekten Postkartenblick über die Altstadt. Genau gegenüber liegt das Goldene Tor mit dem muslimischen Friedhof davor. Dieser im 7. Jahrhundert zugemauerte Eingang in die Altstadt soll sich für den Messias öffnen.

Einer Legende nach legten die Muslime ihren Friedhof absichtlich vor dem Tor an, um den Messias am Einzug zu hindern. Ein böses und dummes Gerücht, meint Eisenstein. „Den Muslimen geht es einfach wie den Juden seit Jahrhunderten auch: Sie wollen möglichst nah an der Altstadt Jerusalems sein. Der heiligen Stadt.“

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