Handball: Nationalspieler per Casting

Die britischen Gastgeber sind im Handball Exoten. Bei ihrem ersten Auftritt bei Olympia verlieren sie gegen Weltmeister Frankreich mit 15:44 — nur.

London. Es hätte schlimmer kommen können, viel schlimmer. „Vor sechs Jahren hätten wir so ein Spiel mit 70, 80 Toren verloren“, glaubt Christopher Mohr. Der Sohn einer Schottin und eines Hessen ist britischer Handball-Nationalspieler, einer exotischen Sportart im Mutterland des Fußballs. 15:44 (7:21) endete der erste Auftritt der Insel-Werfer gegen Weltmeister Frankreich. Kein Debakel, eher ein großer Spaß.

Thierry Omeyer muss ein bisschen schmunzeln, als er nach dem Spaziergang der Franzosen erzählen soll, was er vom Gegner weiß. „Ehrlich gesagt gar nichts, ich kenne auch keinen Spieler mit Namen“, gibt der Torhüter bereitwillig zu, der beim deutschen Rekordmeister THW Kiel unter Vertrag steht. Auch ihm hat das Duell Weltklasse gegen Amateure nicht schlecht gefallen, allerdings nur dank der Zuschauer. „War ja richtig gute Stimmung hier, die Leute sind mitgegangen“, freut sich Omeyer.

Das lag wohl auch daran, dass einem Engländer Handball ungefähr so vertraut ist wie Eisstockschießen einem Zentralafrikanern. Als London 2005 den Zuschlag für die Spiele bekam, gab es im Königreich keine richtigen Ligen, geschweige denn eine Nationalmannschaft. Handball — darunter verstand man in England die „Hand Gottes“ von Diego Maradona.

Um zumindest ein halbwegs konkurrenzfähiges Team zusammenzutrommeln, wurden ab Juni 2006 Castings unter insgesamt 4800 Landsleuten veranstaltet. Für Christopher Mohr war es ein Glücksfall. „Wir haben wirklich bei Null angefangen“, erinnert sich der 22-jährige Rückraumspieler, der als Referenz lediglich vorweisen konnte, für den Offenbacher Vorortklub TSG Bürgel mal in der Jugend-Oberliga gewirkt zu haben.

Im Team steht nun ehemaliger Rugbyspieler, ein Basketballer, und der Linksaußen kommt vom American Football. Er heißt Daniel McMillan und ist zwischen 2005 und 2007 für die Lübeck Cougars als Wide Receiver durch die Regionalliga getourt. Mit 1,89 Zentimetern erfüllte er bei der Sichtung immerhin das Anforderungsprofil Körpergröße, Handball spielen konnte er nicht.

„Damit habe ich erst vor vier Jahren begonnen“, erzählt er. 2008 — da waren Franzosen wie Nikola Karabatic oder Daniel Narcisse in Peking gerade Olympiasieger geworden.

Von Februar bis Juni 2009 ging McMillan wie Mohr beim insolventen Bundesligisten Tusem Essen in die Ausbildung und sammelte danach in Dänemarks dritter Liga Spielpraxis. Nun wäre der 29-Jährige schon glücklich, „wenn wir wenigstens gegen Argentinien gewinnen und in Großbritannien einen Handball-Boom auslösen“.

Mohr ergänzt: „Die Engländer müssten Handball eigentlich lieben, es ist physisch und schnell. Wenn wir die Kinder inspirieren können, hätten wir schon viel erreicht.“

Erreicht hatten sie gegen Frankreich immerhin rund 6000 Zuschauer. Die feierten das 1:0 ihres Teams so frenetisch, als schienen sie nicht zu wissen, dass diese Führung anders als im Fußball nicht unbedingt für einen Sieg reicht. Bis zum 5:8 in der 16. Minute hielten die Engländer recht passabel mit. Als ihr mit vier Treffern bester Werfer, Steven Larsson (4), in der 53. Minute die Rote Karte erhielt, dürfte diese Strafe vielen immerhin bekannt vorgekommen sein.

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