„Hier Türke Tas!IchBahnhof“

Beziehung: Geschichten türkischer Fußballer in Deutschland spiegeln den Verlauf ihrer Integration.

Basel. Als sich Aykut Ünyazici 1958 an der Technischen Universität Braunschweig einschreibt, ist er einer von wenigen Hundert Türken in der Bundesrepublik. Dass der Maschinenbau-Student in der türkischen Jugendauswahl gespielt hat, weiß niemand in seiner neuen Heimat. Erst als der schnelle Rechtsaußen in der Hochschulmannschaft mitkickt, wirbt ihn Eintracht Braunschweig an - für die Amateurmannschaft. Kurz danach wird er in die erstklassige Oberligamannschaft befördert, ist der erste Türke in der deutschen Fußballgeschichte und 1963 einer von fünf Ausländern beim Start der Bundesliga. Zu dem Zeitpunkt hat die Bundesrepublik gerade ein Abwerbeabkommen mit der Türkei abgeschlossen, dass Industrieunternehmen erlaubt, türkische Arbeiter nach Deutschland zu locken. In diesen Jahren des Wirtschaftswunders fehlt es in der Bundesrepublik an Arbeitskräften, und nach Italien, Griechenland, Spanien und Portugal rückt die Türkei in den Blickpunkt.

Damals glaubten viele, die Menschen würden irgendwann zurückgehen in ihre Heimat. Die Wirklichkeit ist anders: Ein Drittel der Türken in Deutschland ist hier geboren, viele Familien leben in der dritten oder vierten Generation hier.

Einer davon ist Coskun Tas. Er kam als junger Mann nach Köln, arbeitete 30 Jahre bei Ford, heiratete, bekam einen Sohn und nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an. Das Besondere an Coskun Tas: Er kam 1959 nicht als Arbeiter, sondern als Fußballer nach Köln. Tas hatte sich in einem Brief an den FC vorgestellt und eine unverbindliche Einladung zum Probetraining bekommen. So stand er eines Tages am Kölner Hauptbahnhof in einer Telefonzelle, suchte die Nummer des Geißbockheims heraus, rief an und sagte: "Hier Türke Tas. Ich Bahnhof."

Von 1959 bis 1962 war der populäre Tas Linksaußen des FC, doch hier erlebte er seine größte Enttäuschung: Im Endspiel um die Meisterschaft 1960 wurde er nicht aufgestellt. Präsident Franz Kremer wollte, dass eine nur mit Deutschen besetzte Mannschaft Meister wird. Die Quittung: Der FC verlor mit 2:3 gegen den Hamburger SV. Tas blieb in Köln, machte bei Ford Karriere und lebt als Rentner in der Domstadt. "Ich bin ein Kind Atatürks, ich bin deutscher Staatsangehöriger und vor allem Kölner", sagt der 73-Jährige, der sich für heute "ein friedliches Fußballfest" wünscht.

Mit Coskun Tas spannt sich auch der Bogen zum letzten Duell der beiden Fußballnationen bei einem großen Turnier. Als Linksaußen war er bei der WM 1954 in der Schweiz dabei, als die Türken in der Vorrunde zweimal auf die DFB-Auswahl trafen. Deutschland besiegte die Türkei mit 4:1 und verlor gegen Ungarn mit 3:8 - Bundestrainer Sepp Herberger schonte seine Stammkräfte für das notwendige Entscheidungsspiel gegen die Türken. Am 23.Juni 1954 war Tas dabei, als die deutsche Mannschaft mit 7:2 gewann und den ersten Schritt zum Titelgewinn tat.

Aykut Ünyazici war der erste Türke in der Bundesliga. Es dauerte bis zum nächsten: Arkoc Özcan wurde 1967 vom Hamburger SV verpflichtet und war bis 1974 Stammtorwart. Den ersten Transfer aus der Türkei - Özcan war von Austria Wien zum HSV gewechselt - vollzog Eintracht Frankfurt und holte den Stürmer Ender Konca, der sich in der Bundesliga aber nicht durchsetzte.

Das gelang Erdal Keser, der als Junge mit seinen Eltern aus der Türkei nach Hagen übergesiedelt war und dort heute noch lebt. Keser war der erste türkische Bundesligaprofi, der in Deutschland aufgewachsen war; Anfang der 80er Jahre spielte er bei Borussia Dortmund. Als die rechtsradikal unterwanderte Fanvereinigung "Borussen-Front" mit ihren ausländerfeindlichen Parolen die Bundesligastadien erreichte, bot Keser den Neonazis mit klaren Worten die Stirn.

Nach dem Ende seiner Laufbahn arbeitete Keser für den türkischen Fußballverband: Er suchte nach Talenten mit türkischen Wurzeln, die er davon überzeugte, für ihr Heimatland und nicht für Deutschland zu spielen. Die in Gelsenkirchen geborenen Altintop-Zwillinge Hamit und Halil sind die prominentesten Keser-Entdeckungen.

Mesut Özil von Werder Bremen hat sich anders entschieden: Er hat nur noch einen deutschen Pass und könnte nach Malik Fahti und Mustafa Dogan der dritte deutsche A-Nationalspieler mit türkischen Wurzeln werden. Was heute ein Politikum sein kann, war zur Zeit von Aykut Üniyazici kein besonderes Thema: Der türkische Student von Eintracht Braunschweig wurde 1959 für die Niedersachsenauswahl nominiert und kam so in den Genuss eines Spiels gegen den FC Santos mit Weltstar Pelé.

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