Burn Out: Die wichtige Kunst des Nein-Sagens

Hans-Dieter Hermann, Psychologe der Nationalelf, bezeichnet das Ausscheiden von Trainer Rangnick als "mutig und richtig".

Düsseldorf. Prof. Dr. Hans-Dieter Hermann (51) leitet das Institut für Sportpsychologie und Mentales Coaching in Schwetzingen. Er hat in München, Würzburg und Antwerpen Psychologie studiert. Als wissenschaftlicher Assistent an der Uni Heidelberg knüpft er erste Kontakte zu Leistungssportlern. In der Folge arbeitet Hermann mit Olympioniken aus 20 Sportarten zusammen, eine Zeit lang betreute er auch die österreichischen Ski-Abfahrtsläufer. Seit 2004 ist der Familienvater Sportpsychologe der Fußball-Nationalelf, zwischenzeitlich war er auch für den Bundesligisten TSG Hoffenheim zuständig. Im Interview mit dieser Zeitung spricht Hans-Dieter Hermann über den Burnout von Ralf Rangnick und rät zum Nein-Sagen: „Sonst kann das für die Gutmütigen ins Chaos führen.“

Herr Hermann, der Münsterschwarzacher Benediktinerpater Anselm Grün hat in einem seiner Bücher geschrieben, dass Menschen den Mut haben sollten, auch mal Nein zu sagen, um sich so gegen einen möglichen Burnout zu schützen. Würden Sie als Sportpsychologe das unterstreichen?

Hans-Dieter Hermann: Ja, absolut.

Wer kann sich in einer gläsernen Leistungsgesellschaft wie dem Profifußball das Nein-Sagen überhaupt erlauben?

Hermann: Nein-Sagen ist die größte menschliche Freiheit. Natürlich gibt es unterschiedliche Formen des Neins. Um ein begründetes Nein sagen zu können, muss ich allerdings meine Grenzen kennen. Bei einem Berufseinsteiger ist es schwieriger, und auch sehr ehrgeizige Menschen, die bedingungslos nach oben wollen, sagen niemals nein. Prinzipiell ist Nein-Sagen ein ganz wichtiger Aspekt für Leute mit einer Veranlagung zu Erschöpfungssyndromen — egal in welchem Leistungsbereich.

Nehmen wir den Fall des Schalke-Trainers Ralf Rangnick, der sich zu einem Burnout bekannt und eine Auszeit genommen hat. Wie schwer ist ihm das gerade als Führungspersönlichkeit gefallen?

Hermann: Das ist schwierig zu beurteilen. Aber besonders Trainer geben ja im Sport Richtlinien vor. Sie haben eigentlich am ehesten die Möglichkeit, nein zu sagen und Grenzen zu setzen. Ralf Rangnick ist ein Trainer, der viel fordert, auch von sich. Ich habe ihn aber so kennengelernt, dass er immer auch akzeptieren und fürsorglich reagieren würde, wenn jemand sagen würde: Ich kann nicht mehr.

Wie beurteilen Sie Rangnicks Entscheidung?

Hermann: Mutig und richtig.

Fußball-Profi Marcel Schäfer hat im Interview mit uns gesagt, dass er viel Verständnis für Rangnick hat und vermutet eine hohe Dunkelziffer im Profifußball. Wann ist der Zeitpunkt erreicht, um sich zu einem Burnout zu bekennen?

Hermann: Burnout-Symptome sind nicht einfach da, sie schleichen sich zunehmend ein. Und es ist sicher kein Weg, bei den ersten Symptomen sofort auszusteigen. Wenn jemand Probleme in sich erkennt, kommt es zunächst auf den Grad an. Burnout ist keine Krankheit. Es ist eine Zusammenstellung von verschiedenen, oft schwerwiegenden negativen Befindlichkeiten. Dahinter kann eine Krankheit stecken oder es kann zu einer Krankheit führen. In einem frühen Stadium der Erschöpfung, kann der Betreffende der Entwicklung schon dadurch entgegenwirken, in dem er seinen Lebensrhythmus ändert oder durch kleine Verhaltenskorrekturen besser in den Griff bekommt. Einfaches Beispiel: Regelmäßige Aktivitäten in der Freizeit, statt täglich mehr oder weniger teilnahmslos vor dem Fernseher zu sitzen.

Die Themen Erschöpfung, Burnout, Depression standen nach dem Tod von Torwart Robert Enke im Herbst 2009 plötzlich im Mittelpunkt. Mit zwei Jahren Abstand, hat sich der Profifußball verändert?

Hermann: Definitiv. Schauen Sie, wie die aktuellen Fälle jetzt behandelt werden. Da ist Respekt da. Ich bin Mitglied im Lenkungsstab von „MentalGestärkt“, einer bundesweiten Initiative von Psychiatern und Psychologen, die im Leistungssport oder mit Leistungssportlern arbeiten. Wir registrieren schon, dass vermehrt Anfragen kommen, dass Sportler öfter mal nachfragen: ‚Gehört das schon zum Burnout, was ich da habe, oder bin ich einfach nur müde?’ Die Häufigkeit ist natürlich keine gute Entwicklung, aber dass man auch im professionellen Sport sich nicht scheut, Hilfe zu suchen und anzunehmen, halte ich für positiv.

In der Tat gab es für Ralf Rangnicks Entscheidung sehr viel Verständnis, auch in den Medien . . .

Hermann: Ich habe in einem anderen Interview einen Vergleich gewählt: Ralf Rangnick war selbst der Pilot seiner Maschine und hat sie sicher gelandet. Deshalb glaube ich auch, dass er zu gegebener Zeit wieder starten kann. Aber im Prinzip haben Menschen, die mit schweren Burnout-Symptomen zu kämpfen haben, keine echte Entscheidungsfreiheit mehr. Sie müssen zeitnah handeln und fachliche Unterstützung in Anspruch nehmen.

Ich würde gerne noch einmal auf die Öffentlichkeit zu sprechen kommen. Ein Bundesligatrainer steht jede Woche unter einer extremen medialen Beobachtung. Fällt in so einer Position das Aufhören nicht besonders schwer, weil das Zugeben einer Schwäche sofort öffentlich ist?

Hermann: Ja. Aber die Rolle der Medien, ist schwer zu definieren. Sie geben Überschriften, Begrifflichkeiten, und stecken öffentliche Menschen gern in Schubladen. Für die kostet es eine Menge Kraft, sich dagegen zu wehren, weil sie sagen: So wie ich dargestellt werde, bin ich nicht. Insofern ist man in der Öffentlichkeit viel stärker unter Druck und schneller und nachhaltiger in seinem Selbstwertgefühl beschädigt. Egal, ob sie eine Fehlentscheidung treffen oder aufhören, jeder kann sie heute dafür in irgendeinem Blog fertigmachen, und wenn nicht die schlimmsten Verbalinjurien genommen werden, wird das auch veröffentlicht. Das macht vielen zu schaffen. Die Entwicklung in den Medien ist aber nicht schuld am Burnout.

Aber es fällt schwerer, sich raus zu nehmen, wenn man in der Öffentlichkeit steht?

Hermann: Das ist schwierig, ja. Denn eigentlich sind das ja alles sehr private Dinge, die diese Personen dann aber veröffentlichen müssen. Und andere — oft völlig Unbeteiligte — interpretieren und bewerten das dann in den Medien. Kein angenehmes Gefühl für die Betroffenen.

Im TV-Talk von Anne Will hat der Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen neulich erklärt, der Fall Rangnick würde den Fokus auf ein Leiden richten, das überbewertet wird. Es sei in der Gesellschaft nicht übermäßig verbreitet.

Hermann: Wenn er das so gesagt hat, wie Sie es beschreiben, würde ich gerne bezüglich der Überbewertung widersprechen. Anhand der vorliegenden Untersuchungen und Zahlen, muss man sagen: Das Problem hat zugenommen und es macht etwas mit den Menschen. Warum kommen so viele Leute in ihrem Beruf unter Druck? Weil es nachvollziehbare Hinweise gibt, dass in der Leistungsgesellschaft die Schraube nochmal deutlich angezogen wurde und in Unternehmen immer mehr, in immer kürzerer Zeit erledigt werden muss. Was aber Raffelhüschen möglicherweise meint ist, dass der Begriff ‚Burnout‘ inflationär und undifferenziert verwendet wird, so dass unglaublich hohe Fallzahlen kolportiert werden.

Was können Menschen tun, um gar nicht erst in die Mühle zu geraten.

Hermann: Vieles — je nach Problematik und Persönlichkeit. Nehmen wir nochmals die Gutmütigen. Sie haben Anselm Grün ja bereits zitiert. Nein-Sagen beispielsweise in Situationen, in denen ich es verantworten kann. Man muss nicht immer jedem Menschen jeden Gefallen tun. Das kann für die Gutmütigen ins Chaos führen.

Können Sie konkrete Beispiele geben?

Hermann: Es ist ein bekanntes Phänomen vor allem in helfenden und pädagogischen Berufen. Zum Beispiel als Krankenschwester hat man nicht nur einen sehr anstrengenden und verantwortungsvollen Beruf sondern viele werden zusätzlich noch bei Tag und Nacht aus dem Freundes- oder Familienkreis angerufen und um Unterstützung gebeten. Wenn man da nicht auch mal Nein sagt, werden Sie völlig vereinnahmt.

Welche Rolle spielen Spaß und Freude?

Hermann: Eine ganz große. Es ist wichtig, dass Menschen außerhalb des Berufs auch Beschäftigungen haben, in denen ihnen die Zeit davonfliegt, weil sie gar nicht an sie denken. Dinge tun, bei denen sie nichts erreichen wollen, sondern einfach die Handlung genießen. Zum Beispiel beim Spaziergehen geht es nicht darum, wieviele Kilometer ich laufe, sondern um bewusstes Wahrnehmen, um das Atmen, das Schauen, vielleicht nebenbei ein gutes Gespräch zu führen. Das weiß man aus der Hirnforschung, dass man sich dann auch sehr gut mental regeneriert.

Sie meinen die Wertschätzung des Kleinen?

Hermann: Auch das, ja. Es geht darum, sich in einer Welt zu bewegen, die nicht nur die verpflichtende Welt ist. Nicht eine Welt, in der wir nur rational und zielorientiert handeln, nur fremdbestimmt und unter Zeitdruck sind, sondern eine, in der wir auch mal Muße haben und emotional sein dürfen. Wo wir Dinge tun, weil sie Freude machen und nicht nur, weil ich etwas verkaufen oder erreichen will. Eine Art von Gegenwelt zur beruflichen, in der die Familie und die Menschen, die einem wirklich am Herzen liegen, im Mittelpunkt stehen. So sortieren sich auch Leute, die viel Verantwortung tragen. Denen ist ganz wichtig, dass sie Freunde haben, mit denen sie einfach mal reden können, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, die ihnen zuhören, eventuell einen Rat geben. Wir nennen das in der Psychologie soziale Unterstützung. Wer solch ein Umfeld hat, ist viel weniger gefährdet. Es geht also um Lebensweisen, um Gestaltung des eigenen Raumes.

Kann der Fußball darin eine Rolle spielen?

Hermann: Fußball kann für die Menschen, die ihn mit Freude annehmen oder sich mit einer Mannschaft identifizieren, ein enormer Ausgleich sein. Das hat Grenzen, wo aus Fans Fanatiker werden, die ihren Raum einengen und nur viele Feinde und ein paar Freude sehen. Aber prinzipiell ist Fußball eine phantastische Möglichkeit, um sich abzulenken, um auf schöne Gedanken zu kommen, um sich von den Leistungen begeistern und von der Atmosphäre mitreißen zu lassen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort