„Es geht um das Gefühl der Stärke“

Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann über Selbstbewusstsein und was Fußballer von Abenteurern lernen können.

„Es geht um das Gefühl der Stärke“
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Salvador. Hans-Dieter Hermann gehört seit 2004 als Sportpsychologe zum Team der Fußball-Nationalmannschaft. Der 54-Jährige studierte in München, Antwerpen und Würzburg und arbeitete in seiner Karriere bereits mit Olympioniken. In Schwetzingen betreibt der Vater zweier Kinder eine Praxis für Sportpsychologie.

Herr Hermann, viele Nationalspieler sind bei internationalen Topvereinen aktiv. Spielt dieses gestiegene Selbstvertrauen eine Rolle?

Hans-Dieter Hermann: Sicher hat jeder Einzelne von seinen Erfolgen profitiert. Das ist zu spüren, da hat eine Entwicklung stattgefunden. Auch wenn sie davon profitiert: Die Nationalmannschaft hat deshalb nicht zwingend ein größeres Selbstbewusstsein. In der Wissenschaft gibt es den Begriff der „Kompetenzerwartung“ von Albert Bandura.

Das müssen Sie erklären.

Hermann: Das ist die Überzeugung von der eigenen Leistungsfähigkeit, im englischen Original heißt sie „self-efficacy“. Übersetzt auf den Fußball: Damit eine Mannschaft eine Art kollektives Selbstbewusstsein aufbauen kann, im internationalen Fachjargon „collective efficacy“, benötigt jeder in der Mannschaft das Gefühl: Mit den Jungs kann ich gar nicht verlieren. Ich würde auch bei elf selbstbewussten Leuten noch nicht davon ausgehen, dass die Mannschaft automatisch ein hohes Mannschafts-Selbstbewusstsein hat.

Ist die Nationalmannschaft auf dem Weg, nur noch eine Option, den Sieg, zuzulassen?

Hermann: Sie ist meines Erachtens auf dem Weg zu einem gemeinsamen Selbstbewusstsein. Aber das kann sich erst durch gute Spiele verfestigen. Was man klar sagen kann: Erfolge im Verein stärken die Kompetenzüberzeugung der Nationalspieler und übertragen sich auch aufs Team.

Wie schwierig ist es, nur den Sieg als Option zuzulassen, wenn im Unterbewusstsein die Gewissheit sitzt: „Wir haben die letzten entscheidenden Spiele gegen Spanien verloren“?

Hermann: Das Unterbewusstsein spielt eine Rolle, natürlich. In der Psychologie sprechen wir vom „Priming“, dem Prozess, Abläufe im Unterbewussten zu verankern. Das ist bei einer Mannschaft wie der Nationalelf jedoch schwierig, weil sich die Spieler selten sehen und sich die Zusammensetzung oft ändert. Aber durch die längere Vorbereitung und in den Trainingseinheiten entwickelt sich das Gefühl der gemeinsamen Stärke. Darauf zielte auch der Vortrag von Abenteurer Mike Horn ab.

Was kann ein Fußballspieler von einem wie Horn lernen, der 7000 Kilometer durch den Amazonas schwimmt?

Hermann: Nicht das Toreschießen, klar. Es geht um Grenzerfahrungen, um Mentalität, um Willen, um Akzeptanz schwieriger Bedingungen, aber auch um die richtige Mischung aus Lockerheit und Zielorientierung. Aber Sie haben Recht: Bei Mike Horns Expeditionen ging es oft um Leben und Tod. Das ist kein 1:1-Beispiel, aber dennoch wertvoll, sich damit auseinanderzusetzen und zu fragen: Was können wir von ihm lernen?

Zum Glück ist Fußball immer noch nur ein Spiel.

Hermann: Richtig, auch wenn es Menschen geben soll, für die er mehr ist. Aber wir wollen nicht zu martialisch werden. Dennoch war der Begriff der „einen Option“ beeindruckend. Zu sagen, das ist jetzt mein Weg. Um diese grundsätzliche Haltung geht es, die wollen wir vermitteln.

Sie haben davon gesprochen, wenn England öffentlich Elfmeterschießen übe, dann sei das gut fürs deutsche Team als möglichem Gegner. Denn dann fokussieren die Engländer ihr Problem und behalten es damit auch. Ist es im Umkehrschluss dann nicht schlecht, wenn deutsche Spieler davon sprechen, Spanien sei der Topfavorit?

Hermann: Ich habe mich bei den Engländern darauf bezogen, dass immer wieder verlautbart wird, sie haben jetzt einen Guru geholt, der ihnen zeigen soll, wie man Elfmeter schießt. Das bedeutet doch, dass sie weiter ein Problem haben. Äußerungen von uns bezüglich Spanien habe ich nicht gehört. Wenn es so war, wollten die Spieler wahrscheinlich die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Für uns wäre auch Gift, wenn man einfach nur denkt: Wo kriegen wir den Pokal überreicht? Deshalb: Wenn es einer strategisch sagen sollte, ist es nicht das Dümmste. Das bringt einen ein wenig in die angenehmere Position des Herausforderers.

Anders als bei der WM in Südafrika gibt es diesmal kein Team-Motto. Weshalb?

Hermann: Wir haben Spieler, die tragen ihre Emotionen nach außen. Da gibt es täglich viele Ansatzpunkte.

Haben Sie ein Beispiel?

Hermann: Die Häuser im Campo Bahia haben mittlerweile Namen. Ich wohne mit Sepp Schmitt, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Tim Meyer zusammen, wir nennen unser Haus Dr. House. Auch die Spieler haben ihre Häuser benannt. Es ist wirklich eine besondere Atmosphäre, ständig läuft Musik, ständig gibt es Begegnungen.

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