Fifa: So funktioniert das System Blatter

Der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes über Korruption in der Fifa, den umstrittenen Weltverbands-Chef — und einen möglichen Weg aus dem Chaos.

Fifa: So funktioniert das System Blatter
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Herr Feltes, können Sie die Fifa noch ernst nehmen?

Thomas Feltes: Die Frage ist, welche Macht die Fifa weltweit hat. Das über Jahrzehnte entstandene und angefütterte Netzwerk lässt sich weder ignorieren noch beseitigen. Und die nächsten Weltmeisterschaften sind geplant. Das Problem: Der Vertrauensverlust wird immer massiver. Wer wird noch mit oder für die Fifa eine WM organisieren, ohne sofort in den Verdacht zu kommen, sich den Zuschlag erkauft zu haben? Auch die nationalen Verbände oder die Uefa müssen sich überlegen, ob und wie sie mit der Fifa zukünftig umgehen. Denn es bleibt etwas auch an einem selbst hängen, wenn man in dem System mitmacht.

Was an der Struktur der Fifa erschwert die Beseitigung von Korruption, warum gibt es keinen Eingriff von außen?

Feltes: Vielleicht wird ja jetzt die Justiz tätig werden, nachdem Herr Blatter Strafantrag gestellt hat. Ich fürchte allerdings, dass wir hier das Gleiche beobachten können wie in anderen Bereichen komplex organisierter Korruptionssysteme: Justiz und Polizei können mit ihren Mitteln die verzweigten Strukturen und subtilen Abhängigkeiten gar nicht aufklären. Hinzu kommt die internationale Dimension: Die Schweizer Staatsanwaltschaft kann erst einmal nur in der Schweiz ermitteln.

Was aber ist mit dem, was im Ausland geschieht oder geschah? Eigentlich müsste hier Interpol tätig werden, aber dazu müssten die betroffenen Länder Interpol beauftragen und kooperieren. Ich bezweifle, dass dies geschieht. Die Staatsanwaltschaft könnte natürlich alle Unterlagen bei der Fifa erst einmal beschlagnahmen. Ich bin gespannt, ob dies geschieht.

Ist Sepp Blatter als Person und seine Inhalte das größte Problem?

Feltes: Herr Blatter ist sicherlich so etwas wie der Schlüssel zur Aufklärung des Ganzen, weil er die Fäden in der Hand hält. Man kann aber nicht von ihm erwarten, dass er ein System, an dessen Aufbau er über Jahre hinweg wesentlich beteiligt war und das ihm solche Macht verliehen hat, in Frage stellt.

Es sieht das erste Mal so aus, als könnte das System tatsächlich ins Wanken geraten.

Feltes: Das System wird nur dann wanken, wenn die Länder und die regionalen Verbände, welche die Fifa tragen, zu einem Neuanfang bereit sind. Dazu könnte der Leidensdruck irgendwann groß genug werden, denn die nationalen Fußballverbände erkennen langsam, dass auch ihre eigene Glaubwürdigkeit leidet, wenn sie die Fifa weiter unterstützen. Andererseits wird es hier eine knallharte Kosten-Nutzen-Analyse geben nach dem Motto: Was wir haben, wissen wir. Was danach kommt, nicht. Deshalb werden viele es besser finden, die alten Strukturen nicht anzugreifen.

Was sind die konkreten Auswirkungen auf den Fußball?

Feltes: Zusammen mit dem immer breiter um sich greifenden Phänomen des Wettbetruges und der andernorts eskalierenden Gewalt könnte irgendwann die Attraktivität des Fußballs massiven Schaden nehmen. Wir beobachten dies bereits in Ländern Asiens, aber auch in Ungarn, wo kaum einer mehr Fußballspiele besucht, weil er entweder keine Lust auf Gewalt hat oder weiß, dass das Spiel manipuliert ist.

Wie kann der Weltverband wieder Glaubwürdigkeit zurückgewinnen?

Feltes: Es müsste eine tatsächlich absolut unabhängige Kommission eingesetzt werden, die freie Hand bekommt, die Ermittlungsergebnisse eigenständig zu veröffentlichen - soweit möglich unter Wahrung des Datenschutzes. Also eine „Fifa-Transparency-Gruppe“. Nur eine Flucht nach vorne kann der Fifa helfen. Helfen könnte auch, wenn die Fifa bei Weltmeisterschaften bereit wäre, lokale Steuern auf die Einnahmen zu bezahlen — was im Moment nicht der Fall ist. Wenn man Nachhaltigkeit und auch die Arbeitsschutzvorschriften ernst nimmt.

Wäre die Veröffentlichung der Garcia-Ermittlung rechtswidrig?

Feltes: Immerhin wurde den Personen, die gegenüber Garcia und seinen Mitarbeitern ausgesagt haben, Vertraulichkeit zugesagt. Hier könnten Schadensersatzklagen auf die Fifa zukommen, wie sie bereits angekündigt sind.

Wie anders kann man dem korrupten System beikommen?

Feltes: Korruption kann nur durch Transparenz und konsequente Strafverfolgung angegangen werden. Das ist aber, wie dargestellt, schwierig. Solange praktisch alle profitieren, die an dem System beteiligt sind, und diejenigen, die darunter leiden, wie etwa Brasilien und Südafrika, in denen die WM massive Staatsschulden und entwurzelte Einwohner hinterlassen hat, keine Macht haben, solange wird sich nichts ändern. Oder glauben Sie ernsthaft an einen Spieler- oder Zuschauerboykott der nächsten WM?

Konnte der deutsche Ethikrichter Eckert gar nicht unabhängig richten? Wer zahlt die Ethikkommission?

Feltes: Die Kosten tragen natürlich die Fifa und damit die Mitgliedsverbände. Ob hier der Spruch gilt: „Wes‘ Brot is ess, des´ Lied ich sing“ weiß ich nicht. Ob allerdings Eckert als Richter an einem deutschen Gericht tatsächlich gut beraten war, diesen Auftrag anzunehmen, bezweifle ich. Mein Schweizer Kriminologie-Kollege Mark Pieth hat als ehemaliger Fifa-Reformbeauftragter 2012 das Fifa-Exekutivkommittee als „eingeschworene Bande“ bezeichnet und danach den Job quittiert. Daraus hätte Herr Eckert lernen müssen.

Kann der Fußball eine weitere Amtszeit Blatters vertragen?

Feltes: Gegenfrage: Wer wagt es, ihn herauszufordern? Blatter hat sich ein engmaschiges Netzwerk von Personen und Funktionären aufgebaut, die von ihm abhängig sind, indem sie von dem System profitieren. Wer sägt denn den Ast ab, auf dem er sitzt? Dazu gehört viel Moral und Zivilcourage. Ich fürchte, beides ist längst auf der Strecke geblieben. Da spielen geldwerte Vorteile oft eine untergeordnete Rolle. Die Möglichkeit, ein Stückchen an der Macht teilzuhaben, ist oft wichtiger.

Aus der kriminologischen Forschung kennen wir die Abläufe: Es wird mit Kleinigkeiten „angefüttert“, und irgendwann können die Betroffenen nicht mehr zurück, ohne das Gesicht zu verlieren oder sich selbst angreifbar oder gar strafbar zu machen. Man müsste hier nicht nur einen Preis für Whistle Blower ausloben, sondern ihnen auch Straffreiheit zusichern.

Glauben Sie daran, dass es nach Blatter besser würde?

Feltes: Ich bin kein Hellseher, weiß aber, dass korrupten Institutionen schnell ein neuer Kopf nachwächst, wenn man den alten entfernt. Korruption ist ein Systemversagen. Also muss eine komplett neue Struktur her.

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