Autobiografie: Einblicke in Zwanzigers Fußball-Welt

Berlin (dpa) - Gutmensch oder Machtmensch - oder gar beides? Theo Zwanziger hat mit der Autobiografie „Die Zwanziger Jahre“ Einblicke in seine Fußball-Welt gewährt und mit teilweise scharfer Kritik an Freunden wie Feinden schon vor dem Verkaufsstart für viel Kopfschütteln gesorgt.

Beim Streifzug durch die Fußball-Jahrzehnte bedenkt der DFB-Ex-Präsident nicht nur Kollegen und Rivalen von Jürgen Klinsmann über Oliver Bierhoff bis Robert Hoyzer und Manfred Amerell mit Lob, Tadel oder offener persönlicher Ablehnung. Auch sein Nachfolger Wolfgang Niersbach kommt nicht ungeschoren davon. Letztendlich ist das Buch aber vor allem eines: Eine Charakterstudie über Zwanziger selbst.

„Gemeinsinn, Solidarität und Toleranz“ nennt Zwanziger im Vorwort seine wichtigsten Werte. Glaubhaft beschreibt der Funktionär seine Ideale. Doch schon der Buchtitel ist auch Beleg für das ausgeprägte Sendungsbewusstsein des 67-Jährigen. Das Wortspiel bezogen auf seinen Namen und die Zugehörigkeit zur engeren DFB-Führung von 1992 bis 2012 wirkt etwas erzwungen. Auf 327 Seiten zeigt der rhetorisch begnadete Jurist, dass er seine Gedanken auch lesenswert zu Papier bringen kann - zumindest wenn es um seine Teilnahme an maßgeblichen Entscheidungen oder um abseitige Anekdoten geht.

Auf dem Männerklo der Frankfurter Verbandszentrale wurde 2004 durch ein Machtwort von Franz Beckenbauer die DFB-Doppelspitze mit Gerhard Mayer-Vorfelder beschlossen, erzählt Zwanziger - übermäßiger Kaffeekonsum hatte ihn nach stundenlangen Debatten auf's Stille Örtchen getrieben, wohin ihm der „Kaiser“ und „MV“ folgten.

Vor weiteren Plaudereien aus dem Fußball-Nähkästchen und den Kapiteln zu bedeutenden Themen wie dem Wettskandal um Hoyzer, dem Suizid von Robert Enke und dem Dauerzwist mit Schiri-Obmann Amerell wird der Leser durch Zwanzigers Kindheit geführt. Der Tod des Vaters vor seiner Geburt und die Kindheit und Jugend in Altendiez werden thematisiert - inklusive der unausweichlichen, weil kollektiv wie individuell prägenden Erinnerung an das WM-Endspiel 1954.

Zwanziger erzählt auch, dass er kein guter Schüler war und im Erdkundeunterricht nicht wusste, wo Mekka lag, dafür aber dank Karl-May-Lektüre den kompletten Namen von Hadschi Halef Omar kannte. Das rettete ihm eine Fünf statt der drohenden Sechs. Zwanzigers Rat seitdem: Lesen lohnt sich.

Das Kapitel zu Zwanzigers Beteiligung am politischen Sturz des damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, 1988 dürfte den Fußballfan kaum fesseln, ist aber eine Blaupause für Zwanzigers späteres Verhalten in der Machtposition als DFB-Präsident. Auf dem politischen Parkett absolvierte der CDU-Mann seine Ausbildung zum genialen Strippenzieher. „Doch viele Erfahrungen aus dieser Zeit, positive wie negative, haben mir später geholfen, auch auf der Bühne des Sports zu bestehen“, schreibt Zwanziger.

Die meisten bereits vorab veröffentlichten Buch-Details konnten die Fußball-Welt eigentlich nicht erschüttern. Dass Bundestrainer Klinsmann bei einem Fehlstart 2006 noch während der WM durch Matthias Sammer ersetzt werden sollte, klingt angesichts des allseits bekannten Turnierverlaufs mehr amüsant denn dramatisch. Die verbalen Attacken gegen Bayern-Präsident Uli Hoeneß und auch Niersbach, die Zwanziger in einem Interview noch verstärkte, sind aber eigentümlich.

In der DFB-Zentrale herrscht Kopfschütteln, berichten Mitarbeiter. Die literarische Offenherzigkeit Zwanzigers überrascht, denn jeder Spieler oder Trainer würde bei soviel ausgeplauderten Interna öffentlich abgestraft - zumal Zwanziger als Mitglied der FIFA- und UEFA-Exekutive noch Deutschlands wichtigster internationaler Fußball-Funktionär ist. Philipp Lahm zum Beispiel bekam im Vorjahr für weniger Brisantes mehr Gegenwind und hätte Hoeneß sicher nicht lapidar „bekannter Wurstgroßhändler aus München“ nennen dürfen.

Erstaunlich ist auch, wie klar Zwanziger DFB-Teammanager Bierhoff die Schuld am Vertragszoff 2009/2010 mit Bundestrainer Joachim Löw gibt. Zumal er selbst bekennt, die öffentliche Auseinandersetzung erst durch einen Informations-Deal mit der „Bild“-Zeitung ausgelöst zu haben - was auch einen Einblick in die Kommunikations- und Machtkultur des ehemaligen DFB-Chefs gibt. Bierhoff äußerte sich erstmal nicht. Der Konflikt ist lange her und der selbst gerade als Autor aktive Teammanager weiß, dass ein Buch provokante Passagen braucht, um sich besser zu verkaufen.

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