Die „Lackschuhtruppe“

Der ETB Schwarz-Weiß Essen gewann 1959 den DFB-Pokal, doch dann ging es bergab.

Die „Lackschuhtruppe“
Foto: grhi

Essen. Da wo Essen eher aussieht wie Düsseldorf, da liegt der Uhlenkrug. Es geht von der Villa Hügel durch den Stadtwald in Richtung Norden, nach Rüttenscheid im Süden der Ruhrmetropole. Große Einfamilienhäuser versuchen sich hier hinter gepflegten Vorgärten zu verstecken. Bürgerliche Ruhe umfängt den Besucher.

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Foto: Imago

Und dann liegt es da, das Uhlenkrug-Stadion. Heute dürften hier noch 9950 Zuschauer Fußball schauen, früher kamen nicht selten 30 000, doch jetzt verlieren sich nur noch wenige Hundert im weiten Rund, wenn die Hausherren vom Essener Turnerbund (ETB) Schwarz-Weiß Essen auflaufen. Die Fußballer vom Uhlenkrug stehen heute auf dem achten Platz der Oberliga Niederrhein. Jenseits von Gut und Böse. Im Niemandsland des Amateurfußballs.

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Foto: Matthias Rech

Vor fast 55 Jahren war das anders. Am 27. Dezember gewinnt Schwarz-Weiß Essen durch ein 5:2 über Borussia Neunkirchen im Kasseler Aue-Stadion den DFB-Pokal, der damals noch nicht „Pott“, sondern „Goldfasanenpokal“ heißt, und eher einer Salatschüssel gleicht. „Jawohl, das ist die Krönung meiner Laufbahn“, bricht es im TV-Interview mit Reporterlegende Ernst Huberti in militärischem Stakkato aus Kapitän Edmund Kasperski heraus. Und sein Mannschaftskamerad Hubert Schieth gibt pflichtbewusst zu Protokoll, dass er nach einigen großen Schlücken aus dem Pokal um acht Uhr morgens wieder seinen Dienst als Kaufmann bei der Ruhrkohle AG angetreten habe.

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Foto: imago

Was aussieht wie der Start in eine rosige Zukunft ist für Schwarz-Weiß der Anfang einer unsanften Landung. Zwar hatte der ETB den bis heute letzten großen Titel nach Essen geholt und Lokalrivale Rot-Weiss in den Schatten gestellt, doch beim Bundesliga-Start 1963 ist Schwarz-Weiß nicht dabei. Danach fiel die Mannschaft komplett auseinander. „Wir wollten ja alle Bundesliga spielen“, erinnert sich der Doppeltorschütze aus dem Pokalfinale, Manfred Rummel, im WDR. „Von diesem Aderlass hat sich der Verein nie wieder erholt.“

Bis 1978 spielt Schwarz-Weiß noch zweitklassig. Das reicht bis heute immerhin für Platz 62 in der ewigen Tabelle der zweiten Liga. Dann geht das Geld aus. Präsident und Geldgeber Wolfgang Schmitz lässt sich scheiden und braucht nun jede Mark selbst. Der Verein gibt seine Zweitliga-Lizenz freiwillig zurück. In den Folgejahren kommt eine Fusion mit Rot-Weiss ins Spiel. Doch der Tenor auf beiden Seiten lautet: „Eine Fusion wäre das Vernünftigste. Aber es würde einfach nicht passen.“ RWE der Arbeiterverein aus Bergeborbeck und die Bürgerlichen aus dem Süden? Arbeiterverein und Lackschuh-Club? Undenkbar. Es ging weiter bergab. 1994 ist Schwarz-Weiß viert-, nun fünftklassig. Am 5. Februar 2013 kann der Club ein Insolvenzverfahren dank Spenden gerade noch abwenden.

Doch der ETB trauert nicht den alten Zeiten hinterher. Vielmehr soll seit 2013 mit Hilfe von Ex-Nationalspieler Matthias Herget als Sportlichem Leiter alles besser werden. „ETB 2020“ heißt das Projekt. Alle Jugendteams bis 2020 in die höchstmögliche Spielklasse zu hieven, ist das Ziel. „Das erste Jahr verlief recht positiv. Wir haben den Grundstein gelegt“, sagte Herget zu Jahresbeginn. Schwarz-Weiß blickt hoffnungsvoll in die Zukunft.

Noch hängen über dem Uhlenkrugstadion aber dunkle Wolken. Am Schwarzen Brett ein Auszug aus der Vereinschronik: Ja, die Schwarz-Weißen wurden früher „Lackschuh-Club“ genannt. Aber nicht etwa, weil die Mitglieder hauptsächlich aus dem Bürgertum kamen. Es habe sehr wohl Arbeiter beim ETB gegeben. Die meisten kamen von der Reichsbahndirektion. Und die putzten ihre Fußballstiefel mit einem Lack, der sonst die Holzbohlen der Bahnstrecken wetterfest machte. Die Schuhe der ETB-Kicker auf Hochglanz. Diese Zeiten sind lange vorbei. Und der Schuh-Lack ist heute verboten. Er war umweltschädlich.

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